Die Keramikskulpturen von Tal R sind mit ihrem gestalterischen Grenzgängertum und ihrer Radikalität in ein dichtes Netz von Vorgängern und Weggefährten eingebunden. Tal R ist fasziniert und begeistert von wesentlich älteren Skulpturtraditionen, die fest im religiösen oder sozialen Verhalten menschlicher Gesellschaften verankert waren. Die Vorstellung des Votivbildes, Körperteile, die angefertigt werden, um Heilung zu erflehen, finden sich als grundlegendes Element des Volksglaubens etwa in den außerordentlichen Funden eines keltischen Flussheiligtums aus dem 1.-2. Jahrhundert n. Chr. an den Quellen der Seine in Frankreich, wo Hunderte von Holzfiguren ausgegraben worden sind: Köpfe, sogar gestapelt, Hände, Beine, Torsi, Pfähle und ganze Figuren, oft von rudimentärster Formbildung.
Mit den neuen Skulpturen formuliert der Künstler ein „Körperalphabet“ aus Einzelteilen, die den Votiven bisweilen formal sehr nahe kommen. Die grelle Buntheit und die glänzende Glasur der Köpfe, Hände, Füße, Torsi und Phalli macht sie dabei unverwechselbar und sie changieren zwischen Individualität und Anonymität. Ihnen haftet etwas Existenzielles an, aber gleichzeitig wirken sie sehr unterhaltsam und leicht.
Tal R’s „Egyptian Boy“ ist exakt an diese entscheidende Schnittstelle gesetzt worden. Seine Skulpturen sind gleichzeitig individuelle Erfindungen und anonym gültige Formen. Sie sind gleich interessant, wenn man sie einzeln betrachtet und ihre Verankerung im Gesamtwerk des Künstlers sowie der reichen bildhauerischen Tradition gedanklich reflektiert, oder wenn man sie in der Fülle eines Atelierraumes bzw. einer dicht inszenierten Ausstellung erlebt. Vor allem aber machen Tal R’s Skulpturen riesigen Spaß. Seine ästhetischen Obsessionen, sein unersättlicher Bilderhunger ist ebenso existenziell wie unterhaltsam. Seine Skulpturen sind naiv und verfeinert zugleich, sie eröffnen dem informierten wie neugierigen Betrachter eine Fülle an Assoziationen und unmittelbaren Erfahrungen. Sie sind virtuos und amateurhaft, reflektiert und unverstellt, künstlich und authentisch, vulgär und von geradezu kindlich reiner Unschuld. Was kann man noch mehr verlangen?