Mit der aktuellen Ausstellung still (not) moving präsentiert das EIGEN + ART Lab gemeinsam mit dem Kurator der Ausstellung Prof. Dr. Dieter Daniels drei Positionen aus den Bereich Visual Media. Yvon Chabrowski, David Claerbout und Albrecht Pischel fragen in ihren Arbeiten nach der durch Digitalisierung und veränderte kulturelle Praktiken neu entstehenden Zwischenwelt zwischen stehenden und bewegten Bildern. Deren erfrischende Unbestimmtheit eröffnet ein noch wenig bekanntes ästhetisches Terrain, das sich wahlweise als Hybrid oder als Synthese von Fotografie und Film / Video beschreiben lässt. Neben den medial-technischen Fragen kommt auch eine neue Grammatik der künstlerischen Produktion ins Spiel: „A language written, but not yet spoken“ – so formulierte es David Claerbout in den Gesprächen zur Vorbereitung der Ausstellung. Diesem Typus von künstlerischer Arbeit entspricht eine ebenso noch undefinierte Haltung der Rezeption, die zwischen Verweildauer und Augenblickshaftigkeit pendelt. All dies wird im Titel der Ausstellung still (not) moving auf eine Formel verdichtet. Die drei KünstlerInnen arbeiten jeweils auf unterschiedliche Weise an dieser neuen Grammatik.
Yvon Chabrowski transformiert Bilder der Massenmedien in den Reflexionsraum einer neuen, verlangsamten Zeitlichkeit. In Dramatische Funde im Schutthaufen überführt sie ein Pressefoto, ein Polizeieinsatz in den Ruinen des von der NSU in Zwickau niedergebrannten Wohnhauses, in eine Darstellung mit Akteuren, die in einem Videoloop gefangen, ewig weiter auf der Spurensuche bleiben müssen. Die Unabschließbarkeit historischer Ereignisse, wie beispielsweise des Nationalsozialismus, wird in einer symbolisch reduzierten Form fassbar. Umgekehrt arretiert Yvon Chabrowski in Land den suggestiven Fluss einer Histotainment-Sendung aus dem deutschen Fernsehen zu einer von ihr als „bewegtes Still“ bezeichneten, in Mikrosekunden geloopten und in Videoebenen geschichteten Sequenz. Die manipulative Wirkung der Bilder tritt ebenso hervor wie ihre sich durch die Reduktion davon ablösende verführerische Schönheit.
Als Premiere realisiert Yvon Chabrowski für die Ausstellung still (not) moving ihre erste Arbeit mit Live-AkteurInnen Afterimage / Anti-Demo. Das Tableau Vivant basiert auf im Internet zirkulierenden Aufnahmen von russischen Demonstranten im Konflikt mit Ordnungskräften nach Putins Erlass des Antidemo-Gesetzes. Die Personen sind jedoch ihrer typischen Erkennungszeichen beraubt. So können sie in der Fortsetzung einer Ikonografie der Kämpfe und Konflikte gelesen werden, welche die europäische Malerei seit Jahrhunderten darstellt. Die Performance findet am 13. Februar 2014 um 19 Uhr im Innenhof der Ehemaligen Jüdischen Mädchenschule statt.
Albrecht Pischel präsentiert seine Arbeiten auf dem analogen Medium Film, bezieht sich inhaltlich jedoch sowohl auf Malerei wie auch auf Fotografie und digitale Techniken. Der 8 Millimeter Film von „Now is forever New“ entstand unbemerkt mit einer Handkamera vor dem Originalbild „Vir heroicus sublimis“ von Barnett Newman im New Yorker Museum of Modern Art. Offenbar eine völlig unangemessene Art der Reproduktion für ein 5,40 Meter breites Bild, die sich aber durch den Verschleiß der Filmrollen im Laufe der Ausstellungsdauer ihrem Gegenstand anverwandelt: Kratzer im Zelluloid überlagern sich mit dem von Newman als „Zip“ bezeichneten Spalt in der Malerei bis zur Unkenntlichkeit / Unendlichkeit. Die 16 Millimeter Projektionen hingegen verführen den Betrachter durch ihren analogen Charme. Sie beruhen beide nicht auf real gefilmten Landschaften, sondern auf deren digitalen Simulation innerhalb einer Softwareanwendung des Betriebssystems OSX. In dieser überlagern sich natürliche Bewegungs-Zyklen und animierte Loops zu einem nur scheinbar kontinuierlichen Bewegungsbild. „Yosemite“ ist dabei zugleich eine Referenz an die frühe amerikanische Landschaftsfotografie – fast könnte man glauben eine bisher unbekannte Filmaufnahme von Ansel Adams selbst wäre entdeckt worden. „Sunset“ zeigt ein in zahllosen Reproduktionen zirkulierendes Sehnsuchtsbild, dessen Orts- und Zeitlosigkeit einem Fehlen jeglicher nachvollziehbaren Referenzen entspricht: Wo diese Wellen je an einen Strand gerollt sind, wann diese Sonne je untergegangen ist spielt keine Rolle mehr angesichts ihrer endlosen Wiederholung.
David Claerbout ist der ‚Klassiker’ dieser neuen Zwischenwelt und arbeitet seit den 1990er Jahren vorrangig an den Schnittstellen von Foto / Film / Video und digitalem Bild. Mit Untitled (Single Channel View) von 1998-2000 wird bewusst eine bereits ‚historische’ Arbeit von Claerbout im Dialog mit den beiden jüngeren Künstlern gezeigt. Das scheinbar unbewegte schwarz-weiße Bild einer Schulklasse von zwölfjährigen Jungen zeigt erst auf den zweiten Blick minimale Bewegungen im Hintergrund: Die Schatten der Bäume auf der Rückseite des Klassenzimmers werden leicht vom Wind erfasst. Wir sehen hier also eine Projektion der Projektion und ein Medium im Medium. Der Schatten in der Videoprojektion und die Fotografie im Videobild, zwischen diesen Ebenen scheint sich eine mediale und zugleich existentielle Lücke aufzutun: Die Erinnerung an eine offenbar lange zurückliegende Schulzeit wird von der sanften Gegenwart einer Windbrise eingeholt, das Authentizitätsversprechen der verblassten Fotografie in einer Videomanipulation aufgehoben.