In Essershausen, Thomas Bayrles Rückzugsort, blühen den ganzen Sommer über die Geranien. Für seine Ausstellung Gerani / Pavesi, die die Galerie Barbara Weiss anläßlich des diesjährigen Gallery Weekends eröffnet, werden diese Blüten zum Leitmotiv neuer Werke.
Rigide Straßenstrukturen aus grauer Kartonage, die man zuletzt in seinem Werk Carmageddon, 2012 als monumentales Wandrelief auf der documenta 13, 2012 in Kassel gesehen hat, werden in zwei Wandobjekten zunächst nur zaghaft, dann doch bestimmter von grünen, rankenden Pflanzen durchbrochen. Sie erobern sich ihren Raum zurück, indem sie den Asphalt aufspalten und alles Gebaute überziehen und überwuchern.
Geranio 1-5, 2015, und Yellow Rose of Texas, 2015, bezeichnen sechs offene Wandkästen, in denen Bayrle die Verwobenheit zwischen organisch Gewachsenem und industriell Geschaffenem noch deutlicher inszeniert. Bayrle zeichnet, diesmal in feinen grau, hellblau und weißen Gouachen, die Pflanzen mit all ihren Blüten und Verästelungen. Wie vom Winde verweht wiegen sich darüber die aus Karton gebauten fliegenden Autobahnfragmente und ahmen in ihren Windungen pflanzliche Formen nach.
Auf einem Tisch in der Mitte der Ausstellung zeigt Bayrle eine weitere Werkgruppe. Ausgangspunkt ist das 1947 von Mario Pavesi gegründete Unternehmen der in Italien landesweit verbreiteten Autobahnraststätten Autogrill. Über dem fließenden Verkehr schweben mit Reisenden gefüllte „Restaurantriegel", wie Bayrle sie nennt. Sie faszinieren ihn, seitdem er 1958 das erste Mal mit dem Auto nach Italien gefahren ist. Dabei wird der Autogrill in Anlehnung an sein filmisches Werk Autobahnkreuz, 2007/08, zu einer alles überspannenden Mautstation in der Form eines Christus am (Autobahn)Kreuz. In eines der Objekte, Gerano Pavesi / church, 2015, ist zwischen zwei Fahrbahnen eine Kapelle eingeschlossen. Ein eingebauter Schiebemechanismus sorgt dafür, dass die Autofahrer auf ihren Sitzen von der Straße direkt in den Andachtsraum manövriert werden können: Bayrles humorvolle Zukunftsvision der modernen Autobahnkirche.
Die Ausstellung wird ergänzt durch Stempelbilder aus den späten 1980er Jahren. Mit dieser Geste schlägt Bayrle einen gekonnt selbstreferentiellen Bogen und zeigt, dass jegliche Auseinandersetzung auf formaler und inhaltlicher Ebene mit Massenphänomenen und Superformen ihn damals wie heute begeistern.
Bayrles Werke wurden in Ausstellungen internationaler Museen und Institutionen gezeigt, u.a. Portikus, Frankfurt/Main (1990, 1994); Museum für Moderne Kunst, Frankfurt/Main (2002, 2006); Museum Ludwig, Köln (2008); Museu d'Art Contemporani, Barcelona und Musée d'art Moderne et Contemporain, Genf (2009). Er nahm an zahlreichen Gruppenausstellungen teil, darunter documenta, Kassel (1964, 1977, 2005, 2012); von hier aus, Düsseldorf (1984) und war zu diversen Biennalen eingeladen, darunter Venedig (2003, 2009), Guangzhou (2005), Berlin (2006), Gwangju (2006, 2010), Tbilis (2007), Sydney (2008) und Busan (2012). Die Retrospektive Thomas Bayrle: All-in-One wurde 2013/14 an vier verschiedenen Stationen gezeigt: Wiels, Brüssel; MADRE-Museo d'Arte Contemporanea Donna Regina, Neapel; Baltic Centre for Contemporary Art, Gateshead und Institut d´art contemporain Villeurbanne/Rhône-Alpes.