Andreas Mühe inszeniert. Themen wie Macht, Ideologie, Vergangenheit und Eitelkeit durchziehen die Arbeiten des jungen Künstlers. Als Magazinfotograf ist Mühe durch seine eigenwillige Art Modelle zu positionieren bereits bekannt. Virtuos in Pose gesetzt werden sie zu einem Teil der Inszenierung, zu einem Teil des Bildgefüges.
Gerhard Richter läuft auf und ab vor seinem eigenem Gemälde, Paul Maenz posiert neben porzellanweißen Aktskulpturen und Friede Springer dreht sich weg und schaut mit ihren Gästen andächtig durchs Fenster. Die Pose des Abwendens ist eine, die sich im Oeuvre des Künstlers wiederholt. Einen Schwerpunkt der Ausstellung bildet der Bildzyklus Obersalzberg, mit dem sich der Künstler seit 2010 beschäftigt.
Die in den Landschaftsbildern noch anonym bleibenden Nazis stehen in den Haltungsstudien frontal beleuchtet, in Uniform gekleidet oder nackt im Studio. Die extrem angespannt wirkenden Haltungen orientieren sich an Originalfotos der Zeit des Nationalsozialismus. Titel, wie „Darges I 44“, oder „Dönitz 43“ verweisen unmissverständlich auf den Referenten, gleichzeitig überspitzen sie in ihrer Unmöglichkeit der Benennung die Inszenierung. Die Zahl gibt Aufschluß über das Jahr, in der das Originalfoto aufgenommen wurde. In fast dokumentarischer Weise entschlüsselt Mühe Dokumente der Zeit und übersetzt sie in seine eigene künstlerische Sprache. Dem Mann in Uniform steht derselbe in einem anderen Bild nackt gegenüber, akribisch in die gleiche Pose gesetzt. Bereits aus der Modefotografie der 80er bekannt ist die Gegenüberstellung von Angezogen und Nackt und wird hier neu interpretiert. Die Anspannung der Muskeln und die Konzentration auf die perfekte Haltung wird erst durch das Fehlen der Kleidung sichtbar. Das Studio ist Raum und Hintergrund zugleich. Dunkel, düster und mit einem verzerrten Schlagschatten erinnert es an die Vergangenheit. Wie Skulpturen, unberührbar, unbeweglich und nahezu dem Lebendigen entzogen, wirken die Männer fast verloren im künstlichen Licht des Studios. Die Darstellung der Macht entlarvt sich als Inszenierung. Aller Aggressivität ihres Status beraubt und dem Geschehen zeitlich entrückt, drücken die Nazis auf Mühes Bildern von vornherein ein Scheitern aus.
Analytisch rekonstruiert der Künstler Aufnahmen deutscher Vergangenheit, die schon vor langer Zeit aus dem Bildgedächtnis verbannt wurden. Seine Referenzperson ist Walter Frentz, ein Fotograf, der das öffentliche Bild des Naziregimes wesentlich geprägt hat. In einer Reihe von Porträts lässt er seine Freunde, dessen Namen als Titelgeber fungieren, in die Rolle des Naziverbrechers schlüpfen. Während Walter Frentz kaum Zeit hatte, seine Modelle in Pose zu setzen, lenkt Mühe alles Augenmerk auf die Stilisierung seiner Protagonisten. Perfektionistisch, in makelloser Uniform, exakt sitzenden Seitenscheitel, vor gleichem rötlichen Vorhang, zeigen „Klemens“, „Patrik“ und „Arne“ ihre Gesichter.
Dichte Wälder und hohe Berge, unbezwingbar und archaisch nehmen nahezu die gesamte Bildfläche in den Landschaftsarbeiten ein. Die Verbindung der romantisch anmutenden, fast ins Kitschige übergreifenden, Landschaft mit einem Offizier oder SS-Mann des Naziregimes wirkt verstörend. Die Wahl des Ortes ist historisch begründet. Die Berchtesgardener Landschaft rund um den Obersalzberg diente Hitler und seiner engeren Gefolgschaft als privater Rückzugsort. Die Menschen sind verschwindend klein in der Landschaft, die Gesichter abgewandt oder nicht erkennbar. Anders als in der deutschen Romantik wir die Besinnung und Reflektion alleine auf die Person übertragen. Die Figuren sind immer exakt in der Bildmitte positioniert, die Natur wird zum bloßen Hintergrund und die Inszenierung reines Spektakel. Die Mystik der Berge inszeniert Mühe mit mehrstündigen Langzeitbelichtungen. Die Geister der Geschichte scheinen ihre letzte Spur im surrealen Mondlicht zu hinterlassen. Übrig bleibt eine traumatisierte Landschaft, die ihre Vergangenheit wohl nie gänzlich abstreifen wird.
Mühe fotografiert mit einer analogen Großformatkamera. Die Schärfe und Brillanz, der meist etwas Mystisches mitschwingt verdankt sich sicherlich auch zum Teil der Wahl der Technik. Die Größe der Fotografien in 4 x 5 inch entspricht dem originalen Format des Negativs seiner Kamera. Viele von Mühes Arbeiten werden in einer Serie präsentiert und zeigen durch ihre Wiederholung die uniforme Gleichheit des Inhalts. „Wandlitz“ zeigt auf zwanzig kleinformatigen Fotografien die Häuser der ehemals mächtigsten Männer der DDR. Gleichförmig, ohne jegliche Art von Persönlichkeit in die Größe eines Puppenhäuschens transformiert, mutet den Bildern etwas Surreales an.
Weibliche Protagonisten zeigt Mühe nur in Rückenansichten. Die Flechtfrisuren waren als sogenannter Gretchenzopf Sinnbild der Frau im Dritten Reich, die im Schatten ihrer Männer ganz dem traditionellen Rollenbild entsprach. Die Tattoos entsprechen der Realität der selbstständigen Frau von heute und scheinen nicht recht mit den Zöpfen zusammenzupassen. Der tiefschwarze Hintergrund lässt die Körper skulptural, fast haptisch wirken, und erinnert an die Porträtmalerei alter Meister. Gerade weil man den Bildern von Andreas Mühe ihre Ästhetik nicht absprechen kann, weil sie schön sind, wirken sie verstörend.
Andreas Mühes (1979) Arbeiten wurden unter anderen in der Kunsthalle Rostock, in den Deichtorhallen in Hamburg und im NRW-Forum in Düsseldorf gezeigt. Seine Fotografien wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Der Künstler lebt und arbeitet in Berlin.
Zu Obersalzberg wird im Herbst 2013 ein umfangreicher Katalog mit Textbeiträgen von Luc Tuymans, Georg Hiller von Gaertringen, Matthias Struch und Karsten Ehlers im Distanz Verlag erscheinen.