10.01.2009 - 21.02.2009
Im Rahmen des von der französischen Botschaft initiierten Galerienaustauschs zwischen Berlin und Paris zeigt carlier | gebauer in Kooperation mit der Pariser Galerie Natalie Seroussi eine Reihe von neun großformatigen Zeichnungen des Pariser Literaten, Übersetzers und Zeichners Pierre Klossowski (1905–2001, Paris). Klossowski, in Frankreich fester Bestandteil des literarischen und kunsthistorischen Kanons, hat in Deutschland auch heute noch einen geringeren Bekanntheitsgrad, als etwa sein jüngerer Bruder, der Maler Balthus. Erst die umfassende Einzelausstellung im Kölner Museum Ludwig 2007, stellte Klossowskis zeichnerisches und skulpturales Werk einem breiteren Publikum vor.
Dabei sind Klossowskis Arbeiten ein wichtiger Referenzpunkt innerhalb der künstlerischen Selbstkritik der Moderne, sei es in seiner Übersetzung von Walter Benjamins berühmtem Kunstwerk-Aufsatz oder in seiner Zusammenarbeit mit Georges Bataille, Gilles Deleuze oder Michel Foucault. Auch daher freuen wir uns sehr, gemeinsam mit der Galerie Natalie Seroussi Klossowskis Arbeiten präsentieren zu können. Sie stellen eine historische Position vor, die auch für viele der von carlier | gebauer vertretenen KünstlerInnen einen Orientierungspunkt markiert. Klossowskis seit den 1950er Jahren entstandenen Zeichnungen suchen nach einer künstlerischen Position, die scheinbar unverbundene historische Zitate neu kombiniert, um eine Perspektive jenseits der verlorenen Moderne zu gewinnen.
Pierre Klossowski wurde 1905 sozusagen in die künstlerische Tradition der Moderne hineingeboren. Sein Vater war Kunsthistoriker, ein Spezialist für das 19. Jahrhundert, seine Mutter wurde im Malen von Pierre Bonnard unterrichtet und war eng mit Rainer Maria Rilke verbunden. Klossowski selbst begann früh als Sekretär von André Gide zu arbeiten. Erst 1955 begann er zu zeichnen und auszustellen. Stets stand das Schreiben für ihn im Vordergrund. Seine ersten publizierten Zeichnungen entwickelten sich aus seinem Roman “Roberte, ce soir” (1955), für den er nach Illustrationen suchte. “Meine Zeichnungen existierten in meinem Geist bevor ich sie in meinen Romanen begann zu beschreiben”, sagte Klossowski und bezeichnet darin einen wesentlichen Punkt, der ihn auch für die nachfolgende Künstlergeneration so zentral machte. In seinen Zeichnungen wie in seinen Schriften sucht er Momente der Drastik. Nicht das Medium steht als künstlerisches bei Klossowski im Vordergrund, sondern dessen Potential zum Ausdrucksextrem. André Masson argumentierte, Klossowskis Zeichnungen seien keine Illustrationen, sondern vielmehr Verlängerungen seiner Erzählungen. Es ist gerade dieser sprachliche Charakter der Kunst, der sich schon in Klossowskis „Nu au rat“ (1956) abzeichnet, und der aus der Rekombination bekannter Motive seine Drastik gewinnt.
Klossowski bezeichnete seine Zeichnungen als „grandes machines“. Sie scheinen dem von Roland Barthes benannten „zitathaften Leben“ zu folgen, bestehen sie doch fast gänzlich aus Verweisen, klassischen Themen der Malerei, antiken Motiven, und deren Überschneidung mit folkloristischen Sakral- und Renaissancefiguren in einer der mittelalterlichen Buchmalerei entnommenen Perspektive. Doch, wie in den von uns gezeigten Arbeiten aus vier Jahrzehnten nach zu verfolgen ist, drängt sich stets das Thema sexualisierter Gewalt in den Vordergrund: sei es der männliche Übergriff auf den weiblichen Körper oder, wie in den vier gezeigten Arbeiten aus der Serie „Saint Nicolas“, der Angriff auf den gleichgeschlechtlichen Körper. Doch in Klossowskis Zeichnungen verlieren die Attackierten nie ihre Eigenständigkeit. Bei ihm werden sie von passivisierten Opfern zu aktiv Handelnden, zu Protagonisten eines Mysterienspiels erotischen Begehrens.
In der Ausstellung bei carlier | gebauer werden neun großformatige, farbige Zeichnungen aus vier Jahrzehnten versammelt. Die frühe Zeichnung „Le Nut au Rat“ von 1959, steht beispielhaft für Klossowskis „Gulliver-Optik“. In ihr wird der weibliche Körper als antikisierendes Modell eingeführt. Die Recto-Verso Zeichnung „Les Désespérés du Directoire“ und „Esquisse pour le petit Rose“ von 1964 und 1974 zeigen die geschlechtlich sich ambivalent haltende Entwicklung aus der Figur eines spielenden Kindes auf der Vorderseite hin zu einem ebenso schönen wie ätherischen Hermaphroditen auf der Rückseite, der gehalten und gleichwohl begehrt wird vom immer präsenten Mentor. Körperlich klarer erscheint demgegenüber die vierteilige Serie „St. Nicolas“ aus den 1980er Jahren, die in drastischen Bildern die Reise zweier Jungen verfolgt, ebenso wie Klossowskis emblematische Zeichnung „Ganymède – Mont Albins“ von 1985, die in ihren zentralen und klar umrissenen Figuren wie aus einer präraffaelitischen, befriedeten Gegenwelt entsprungen zu sein scheint. Klossowskis Zeichnungen formen Körper und zersetzen sie zugleich. Alle bei carlier | gebauer versammelten Beispiele zeichnen eine Auseinandersetzung nach, die über den Zeitraum eines halben Jahrhunderts unermüdlich Literatur und bildende Kunst ineinander verschränkte, und darin eine eigene und irritierende Ausdrucksform fand.