17.09.2010 - 23.10.2010
Das Animalische im Menschen meint dessen Triebnatur, all jene Regungen, die die vermeintliche Krone der Schöpfung mit den Angehörigen des Tierreichs gemeinsam hat: Essen, Schlafen, sich vermehren. Es meint das Körperliche im Gegensatz zum Geistigen, das Instinktive in Abgrenzung zum Rationalen.
Kunst – das ist die Lehrmeinung der Anthropologie – gehört ganz zweifellos in den Bereich des Menschlichen. Unter allen Lebewesen auf unserem Planeten seien wir die einzig kulturfähige Spezies. Und trotzdem gehören die Tierdarstellungen seit Anbeginn der bildnerischen Tätigkeit zum Grundbestand aller Kunst.
Heute sind die alten Grenzziehungen fadenscheinig und undicht geworden. Die Verhaltensforschung attestiert vielen Tierarten vormals rein menschliche Fähigkeiten. Und im Licht der Neurobiologie zeigt sich, dass wir Menschen nicht scharf von den tierischen Mitbewohnern trennbar sind. Das ist Grund genug,
sich umzuschauen, wie zeitgenössische Künstler mit dem Sujet Tier und seinen Implikationen umgehen. Wie werden in den heutigen Umbruchszeiten die symbolischen Zuschreibungen eingesetzt? Gelten hergebrachte Kategorien, Zuordnungen
und Gegensätze noch? Welche Gefühle assoziieren wir in der Betrachtung dieser Arbeiten mit dem Anblick von Tieren?
Die Ausstellung „Animal Magnetism“ versammelt ganz unterschiedliche künstlerische Standpunkte. Plastische Werke und Malerei, Zeichnungen auf Papier und textile Arbeiten ergänzen sich zu einem Kaleidoskop an Formen. Ebenso
unterschiedlich sind die Tiergattungen, auf die Bezug genommen wird: Der Schmetterling kontrastiert mit dem Schwein, die Vögel von Fetting und Hans van Meeuwen stehen geschuppten Karpfen Grothkopps gegenüber. Und auch in der Haltung der Künstler lassen sich divergierende Ansätze ausmachen.
Einige Arbeiten wirken ironisch bis subversiv, andere poetisch und meditativ. Rohe, ja brutale Statements stehen neben leisen und feingliedrigen Aussagen.
Deborah Sengls Hybridwesen, die sowohl Körperteile von Tier und Mensch collagieren, als auch natürliche und künstliche Werkstoffe, sind radikal, gravitätisch und provozierend. Yukiko Teradas Installationen hingegen, die aus der Wiederverwertung
gefundener Kleidungsstücke entstanden sind, erscheinen so federleicht wie die Schmetterlinge, die die Künstlerin aus den Stoffen ausschneidet. In der gezeigten Arbeit nähte sie einen Hasen aus der Kaninchenfelljacke und präsentiert ihn in Beuysschem Gestus. Ist die Animalisierung im einen Fall ein
Akt des Nachdrucks, ein unüberhörbares Auftreten gleich den donnernden Hufen einer galoppierenden Rinderherde, so ist sie im anderen Fall eher ein Flüstern, ein Hauch, auf den man achtsam horchen muss, ein Moment von reiner Materialpoesie.
Die glatten Lackoberflächen von KEHL, dessen Eierformen ein bis zur Perfektion getriebenes Kunsthandwerk der Fabergés ins postmoderne Unbehagen der Geschlechter übersetzen, nehmen Kontakt auf mit dem rauen Duktus bei Elvira Bach und Rainer Fetting, Politur gegen Geste, zickiger Perlglanz gegen katzenhafte Geschmeidigkeit. Van Meeuwen vergrößert einen Storch ins Ungeheure, so dass der Betrachter unvermeidlich die Froschperspektive einnehmen muss.
Die Kois von Grothkopp hingegen nehmen die Kontraste so stark zurück, dass sie erst im kontemplativen Betrachten Tiefe und Kontur gewinnen – ein Zeitverlust, den der Frosch vor van Meeuwens Storch schon längst mit dem Leben bezahlt hätte. Das Leben lassen mussten auch schon einige der gehäkelten
Kuscheltiere aus dem Laboratorium von Patricia Waller. Meisterhaft spielt diese Künstlerin mit den Gefühlen gegenüber den Tieren. Die Bastarde aus Laborratte und Kuscheltier, Ungeheuer und Trostspender, Schädling und Partner erwecken gleichzeitig Angst und Zärtlichkeit, machen Spaß und entsetzen.
Magnetismus bezeichnet schon seit dem Altertum die Anziehung von Gegensätzen: zwischen positiv und negativ, männlich und weiblich, Geist und Materie.
In dieser Ausstellung wird die Wahlverwandtschaft ausgeweitet auf die menschlich-tierischen Paarkonstellationen Kunst und Natur, Raum und Fläche, Angst und Vertrauen, Beruhigung und Aufregung.
Kunstbetrachtung ist, das lässt sich hier erfahren, immer ein Versuch, auf das Andere, auf das Gegenüber einzugehen. Wie bei der Tierbeobachtung fordern Kunstwerke von uns Erfahrung in der vielleicht ältesten aller kulturellen Leistungen: dem Spurenlesen. Die harten Gegensätze dürfen die feinen Nuancen nicht verschatten. Wie schon unsere höhlenbewohnenden Vorfahren, die vor 40.000 Jahren ihre Jagdbeute an die Wände pinselten, können wir das von den Tieren lernen: eine geschärfte Wahrnehmung. Im 18. Jahrhundert hat der Arzt Anton Mesmer die rätselhafte Kraft des Magnetismus auf den Mensch und seine Regungen angewendet. Er entwickelte Heilmethoden, die auf der Basis des von ihm postulierten animalischen Magnetismus
im Bestreichen des Patienten durch den Magnetiseur bestehen. Schon den Zeitgenossen fiel die erotische Komponente auf, da der Heiler männlich, die Patienten zumeist weiblichen Geschlechts waren. Der Titel „Animal Magnetism“ spielt auf diese Attraktionskraft zwischen den Lebewesen an.
Ob Mesmer sich wohl in der Galerie Deschler bestätigt gesehen haben würde, soll derweil dahingestellt bleiben. Seine Erkenntnis, dass Phänomene der Anziehung in unserer Welt existieren, von der sich die Schulweisheit keine Vorstellung macht, die hat in den letzten 200 Jahren gleichwohl kein bisschen an Aktualität
verloren.