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vertretene Künstler

Martin Eder

Martin Eder: Those Bloody Colours

01.05.2015 - 23.05.2015

Es gibt keine Geschichte, bis sie jemand aufschreibt, oder ein Bild von ihr macht.
Wir glauben was wir sehen, speichern Erlebnisse als Bilder, und konstruieren unsere Erinnerungen aus bloßen Assoziationen, neu verknüpft vom Gehirn in jenem Moment, in dem ein äußerer Reiz oder Impuls es stimuliert.
Um die Konstruktion von Geschichte und ihr unbewusstes Entstehen drehen sich die neuen Arbeiten von Martin Eder. Eine schwere, melancholische Stimmung beherrscht die Szenerien, altmeisterliche Farbgebung trifft auf harmonische Kompositionen und der geschulte Blick holt gleich die gewohnten und gelernten Motive aus dem Kunstgeschichtsgedächtnis hervor, versucht das Gesehene einzuordnen und mit dem Bekannten zu assoziieren. Frauen in Rüstungen und zerrissenen Leinenstoffen, bewaffnet mit Schwertern, Spuren einer kämpferischen Handlung im Gesicht. Das Thema scheint historisch, ist aber allgegenwärtig: die kriegerische Frau im Kampf. In der Flut von jüngsten Katastrophen- und Kriegsbildern tauchen immer wieder auch Frauenfiguren auf, als Soldatinnen, in der Gestalt der Mütter, die ihre Kinder oder ihr Dorf an Grenzgebieten im Nahen Osten mit Waffen beschützen oder an anderer Front auf dem Maidan, in improvisierten Rüstungen aus Straßenschildern, Gaffer-Tape und Plastikkanistern kämpfen.
Martin Eder versetzt seine Charaktere in eine fiktive Fantasyserie und reiht die Bilder wie einzelne Frames aneinander – mitunter treffen zwei Figuren, die zuerst allein in ihrem Bildraum verharrten, in einem größeren Bild aufeinander und verdichten sich zu einer Handlung, als würde der Künstler aus der Szene herauszoomen und so den Bildausschnitt und die Sicht auf die Story erweitern, denn die Größe der Figuren bleibt immer gleich. Martin Eder spielt mit unseren Sehgewohnheiten – statt einer Geschichte schafft er die Staffel einer Serie, Folge für Folge, das Ende offen, HD-Flatscreen statt Kinoleinwand. Das Ausgangsformat der Leinwände entspricht dabei genau den geläufigen Bildproportionen, die seit Jahren von Digitalkameras vorgegeben werden und unser Bildempfinden prägen.
Wie in einem Filmstill sind die Frauen festgehalten in einem kurzen Moment, in dem das Schwert gerade eben gezückt oder in der Sekunde wieder abgesetzt wurde, bestimmen die Szenerien in Martin Eders Bildern. Dieser „fruchtbare Moment", seit Lessings Laokoon-Abhandlung ein feststehender Begriff, ist der Auslöser dafür, dass sich beim Betrachter eine Geschichte entspinnt: „Dasjenige aber nur allein ist fruchtbar, was der Einbildungskraft freies Spiel läßt. Je mehr wir sehen, desto mehr müssen wir hinzu denken können."¹
Doch alles, was wir sehen, ist bloß ein fake. Die Hintergründe, in denen die Charaktere sich befinden, erfunden und konstruiert, surreale Welten, die so sein könnten, aber nicht sind. Pseudo-History. Angereichert und ausgeschmückt durch die im Gedächtnis herumschwirrenden Bilder aus unzähligen Filmen, TV-Serien, Märchen und Theaterstücken, in denen die Grenzen von Fantasy und „wahrer Geschichte" verfließen.
Unser Gehirn gaukelt uns vor, die Geschichte zu kennen. Wir denken dabei an das Mittelalter, an glänzende Ritterrüstungen, stolze Burgen und schauerliche Schlachten, Burgfräulein und Könige, dreckige Städte und vernichtende Seuchen, hundertmal gesehen und gelesen in aufgeschriebener Geschichte und gemalter Kunstgeschichte. Doch auch die Unterfütterung durch historische Zeugnisse und Fakten kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Geschichte immer auf den subjektiven Eindrücken einzelner Zeitzeugen beruht, die über Jahrhunderte weitergetragen wurden. Eine Erinnerung wird zur Historie, aus der Historie wird wieder eine Erinnerung - und gleichzeitig sind Erinnerungen und persönliche Memoiren die Basis unserer frühen Geschichtsschreibung und kulturellen Identität.
Genauso wie die Kunstgeschichte letztlich auf den subjektiven Darstellungen durch einzelne Künstler und ihrer Filterung durch exemplarische Kunsthistoriker basiert, auch wenn sie sich immer wieder in ihren Theorien und Turns neu konstituiert. Wer von der Geschichte ausgelassen wurde, weil zu Lebzeiten nicht bekannt genug, wessen Werk vielleicht Kriegen, gesellschaftlichen Umständen oder anderen Zerstörungen zum Opfer gefallen ist, wird vergessen oder übersehen, wird vom kollektiven Gedächtnis ausgespart.
Die Doppeldeutigkeit, die den Bildern von Martin Eder innewohnt, schwingt auch im Titel der Ausstellung mit. Bei Those bloody colours nur das blutige oder verfluchte Malmittel zu meinen, vergisst die zweite Bedeutung des Wortes als Wappen, Flagge, und damit auch Nationalität, Herkunft oder Grenze. Blutige Fahnen, verdammte Grenzen, und schon entspinnt sich der Faden der Assoziationen erneut.
"Let our bloody colours wave! And either victory, or else a grave"
William Shakespeare, in King Henry VI.
¹ Gotthold Ephraim Lessing, in: Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie, Stuttgart 1994, Kapitel 3, Erstausgabe 1766.

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