30.04.2011 - 03.09.2011
In der Ausstellung pionier in der Galerie EIGEN + ART Leipzig realisiert Nicolai die Arbeit pionier I, eine Rauminstallation welche zwischen Zuständen der Stabilität und Instabilität variiert: Ein weißer Fallschirm wird durch den Luftstrom einer Windmaschi- ne aufgebläht und flattert im Rahmen des Installationsaufbaus zwar kontinuierlich und formal gesteuert, aber dennoch relativ unbeständig und unvorhersehbar im Galerieraum. Der Fallschirm befindet sich in einem labilen Gleichgewicht; er gerät in einen Taumel der Wechselwirkung von Schwerkraft und Windkraft und dient somit im übertragenen Sinne als Metapher für die unsichere Balance zwischen Ordnung und Entropie.
Carsten Nicolai arbeitet seit Mitte der 1990er Jahre in einer Sphäre des Übergangs zwischen Natur und Kunst, wobei klare Grenzen oftmals zu verschwinden scheinen. Seine Faszination für Naturphänomene, für Mathematik und Physik entwickelte sich seither zu einem integralen Bestandteil seines künstlerischen Schaffens. "Ich versuche, ein Teil meiner kreativen Entscheidung auf natürliche Prozesse zurück zu übertragen. Die Natur ist der größte Inspirationsfaktor für mich; es ist ein kreatives Medium. Die Natur ist ein großes kreatives Rätsel, das wir zum Teil immer noch nicht verstehen." Nicolai setzt Naturphänomene in eine künstlerische Sprache um oder nutzt Fehler als kreatives Material und schärft damit die Wahrnehmung und das Verständnis unserer Umwelt.
Ob Experimente zur Schallgeschwindigkeit (334 m/s, 2007), zur Sichtbarmachung von Schall (milch, 2000 / wellenwanne, 2001), zur optischen Wahrnehmung (moiré, 2010 / tired light, 2007) oder zu sich selbst organisierenden Systemen oder Mustern (cluster, 2008/ autoR, 2010): Nicolai geht es vor allem um eine Sensibilisierung des Betrachters für die zugrundeliegenden Mechanismen der Natur, um deren Funktionsweise of-fenzulegen und die Verortung des Menschen in seiner Umwelt ständig neu zu relativieren.
Insbesondere die Feinheiten der menschlichen Wahrnehmung liegen dabei im Zentrum seiner Aufmerksamkeit, da in ihr der Schlüssel zum Verständnis der Welt liegt. Indem er dies thematisiert, versucht Nicolai, den Begriff der Kreativität schlechthin zu hinterfragen. Durch diesen Ansatz entstehen Resultate, die scheinbar ohne Gestaltungswillen auskommen und ästhetische Formen hervorbringen. Wie im Labor agiert der Künstler hier als Katalysator, um Reaktionen herbeizuführen und neue Bedeutungskonstellationen zu provozieren.
In der Ausstellung zeigt er neben pionier I (2011) auch verschiedene Bilder einer Magnetbandschleife (tape loops, 1998), welche sich stets neu als zufällig geordnete skulpturale Form geriert, das damit die Variationspotential sich selbst organisierender Strukturen darstellt.