03.07.2009 - 01.08.2009
Das Buch als Kunstobjekt zu handhaben, hat einige Tradition. Es zu gestalten oder zu verwerten, es beispielsweise über Illustrationen zu enträtseln oder mittels anderer Materialien (weiße Farbe) zu chiffrieren und so zu einem noch größeren Geheimnis zu machen, gehört selbst im Zeitalter der Virtualität eher zu den modernen, den zeitgemäßen Möglichkeiten für einen bildenden Künstler. Immerhin ist das Buch ein Kulturgut allerersten Ranges; wer es nutzt, sich mit ihm befasst, muss ihm tatsächlich gewachsen sein.
François du Plessis „Book Stories“ können mit Bestimmtheit als gelungene Umgangsformen bewertet werden. Nicht so sehr, weil er in seinen Arbeiten konsequent auf die äußere ästhetische Wahrnehmung setzt, auf Formen und Farben, Materialien und Oberflächen und deren vielfältiges, reiches, manchmal steuerbares, viel öfter intuitives Zusammenspiel. Und auch nicht, weil er sich dadurch vom Versuch der Interpretation, des Kommentars zum Inhalt der Bücher weit genug fern hält. Medien- oder gar Literaturkritik sind seine Sache nicht. Sondern einfach, weil er das Buch als individuellen Körper anerkennt und aus ihm und gelegentlich etwas weißer Farbe und Holz und Metall ein völlig eigenständiges, selbstbewusstes neues Kunstwerk schafft.
So gilt als Grundvoraussetzung, dass für die Wirklichkeit dieser Objekte der Inhalt der Bücher keine Rolle spielt. Nicht das Wort, die Geschichte, ist das Material des Künstlers, sondern das Papier, der gebundene Leib aus hundert, zweihundert, dreihundert einzelnen Seiten. Ihnen gegenüber verhält er sich; er reagiert auf die zahllose Schichtung der Seiten, die Farbe des Einbands, die Größe, die Spuren des Gebrauchs, den Umfang. Den Körper zwingt er, sich zu drehen, zu verwinden, ihn zersägt er (nicht was im Buche steht) und montiert die gewonnenen Hälften neu nebeneinander. Nur so, in völliger Unabhängigkeit vom intellektuellen Anspruch des Ausgangsmaterials – oder besser von dem ihm zugewiesen, unterstellten Anspruch – kann entstehen, was an architektonische Figuren erinnert. Kompakte, verfestigte, nur auf den ersten Blick einander ähnliche Plastiken.
Kleine, verwinkelte, tief reichende Horte der Zuflucht für spielerisch sehnsüchtige, bewegliche Gedanken. Gefüge aus zahllosen Räumen und dunklen Tunneln, zufälligen Verwerfungen und halbdurchlässigen Schichtungen.
Die zuerst entstandenen, geweißten Objekte blieben deutlich plastisch. Ihr Charakter ließ sich auf ihre dichte Masse zurückführen und die darin zugleich merkliche, eingespannte, erstaunliche Kraft. Die neuen Zeitschriftenobjekte wirken völlig anders, nachgerade entspannter, entlasteter. Weil die ursprüngliche Farbigkeit nicht durch Weiß gelöscht wird, gleicht alles mehr einem (dreidimensionalen) Bild denn einer Plastik. Wie die Segmente einer Farbchromatik reihen sich die Felder auf den gefächerten Seiten aneinander.
Unerwartet wird aus der Arte Povera ein Werk konkreter Kunst. Gewiss, auch jetzt lässt sich der Künstler nicht von den Inhalten der verwendeten Bücher ablenken oder gar steuern. Doch die belassene Farbe lässt zumindest die Vermutung offen, hier waltete Auswahl. Aber der Schein trügt. Nach wie vor begegnen wir in diesen Objekten nicht dem Inhalt des Buches, welches den Grundbaustein, das Material dafür stellt, sondern wir entdecken ein völlig neues Kunstwerk.
Stefan Skowron, Kunsthistoriker Aachen