Die Wirklichkeit steckt in der Krise.
„Die Materie", so schrieb vor über hundert Jahren der französische Astronom Camille Flammarion, „ist nicht das, was sie unseren gewöhnlichen Sinnen zu sein scheint [...], sie ist lediglich eine Manifestation der Bewegung der unsichtbaren und unberechenbaren Elemente." Quantenphysik, Neurobiologie oder Neuer Realismus haben der Vermutung in den letzten Jahrzehnten weiter Nahrung gegeben. Die Realität, so wie sie dem Objektiv einer Fotokamera erscheint, gibt es nicht.
Die vierteilige Ausstellungsreihe PRIME TIME – Archetypes of Abstraction in Photography lotet aus, wie die Fotografie auf diesen Befund reagieren kann. 16 Künstler – von modernen Klassikern wie Heinz Hajek-Halke bis hin zu Zeitgenossen wie Stefan Heyne, Hiroshi Sugimoto oder Thomas Ruff – hinterfragen in ihren Arbeiten auf ganz unterschiedliche Weise die grundlegenden Glaubenssätze des fotografischen Denkens.
Kuratiert von dem Berliner Kunstkritiker und Journalisten Ralf Hanselle stellt PRIME TIME sämtliche Kategorien des fotografischen Mediums auf den Prüfstand: Zeit, Licht, Raum oder Material werden in dieser Ausstellungsreihe in der Berliner Galerie DIEHL solange seziert, bis alle Referenzen zu einer Welt jenseits der fotografischen Fläche verschwunden sind. Zurück bleibt das autonome Bild – mal als abstraktes Fotogramm, mal als monochromes Feld auf lichtempfindlichem Papier.
Widmet sich der erste Teil unter dem Titel The Decisive Aeon den Zeitwahrnehmungen in der Fotografie, so beschäftigen sich die Sektionen Object_If und The Pencil of Nothing mit dem komplexen Verhältnis von Bild und Abbild. Der letzte Teil mit dem Titel Dark Sides schließlich wagt einen Blick zurück in das analoge Zeitalter: Im Zentrum von „Dark Sides" steht die Dunkelkammer – ein Ort von Wandlung und Entwicklung; ein Ort der ungesehenen Bilder.
Allen Positionen gemein ist, dass sie die Kamera nicht mehr als einen mimetischen Zeichenstift begreifen, sondern gegen die Apparatur und ihre Ideologien zu spielen begonnen haben. Mittels verschiedenster Verfahrensweisen trennen die Künstler die Form vom Stoff. Zurück bleibt am Ende nur das abstrakte Knochengerüst des Bildes: Die Archetypen der Fotografie.