Ab Ende der 1970er Jahre erregte in Deutschland - im Westen wie im Osten - eine künstlerische Alternativszene mit lautstarkem Protest und gezielter Provokation Aufsehen und Anerkennung. Infiziert von der englischen Punk-Bewegung setzten die Akteurinnen und Akteure nicht auf virtuoses Können, sondern strebten nach Selbstorganisation im Sinne des Do-It-Yourself-Gedankens und agierten jenseits gängiger Kunst- und Kulturnormierungen und gesellschaftlicher Erwartungen.
In der Dresdner Ausstellung „Geniale Dilletanten. Subkultur der 1980er Jahre in West- und Ostdeutschland“ wird die Tournee-Ausstellung des Goethe-Instituts durch einen gleichwertigen Fokus auf die DDR-Szene entscheidend erweitert. Die westdeutsche Subkultur trifft auf die alternative, ostdeutsche Musik- und Kunstszene jener Zeit. Bedingt durch die verschiedenen Gesellschaftssysteme unterscheiden sich Motivation und Artikulation der Gegenkulturen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. In der Gegenüberstellung werden jedoch auch Parallelen und sogar grenzüberschreitende Berührungspunkte sichtbar.
In der DDR gehörte die Grenzüberschreitung von einem künstlerischen Medium zu einem anderen, von der bildenden Kunst zur Klangerzeugung, zum Super-8-Film, zur Performance, zum Text und zum Theater in den 1970er und 1980er Jahren zur Strategie der Aufmüpfigen, die gegen die Reglementierungen seitens des SED-Staats und des Künstlerverbandes angingen.
Diese ostdeutsche Subkultur wird mit zum Teil noch nie gezeigtem Bild- und Tonmaterial sowie mit ausgewählten Gemälden, Grafiken, Zeitschriften, Plakaten, Kassettencovern und Archivalien dokumentiert (Kurator: Christoph Tannert). Künstlerinnen und Künstler wie A. R. Penck und die Gruppe Lücke frequentor, Helge Leiberg, Michael Freudenberg, Klaus Hähner-Springmühl, Cornelia Schleime, Ralf Kerbach, Christine Schlegel, die Dresdner Autoperforationsartisten, Matthias BAADER Holst, Moritz Götze oder Tohm di Roes provozierten Publikum und Funktionäre mit wilden Gesten, infernalischen Auftritten, aber auch subtilen innerkünstlerischen Erkundungen. Bands und Künstler-Formationen wie AG Geige, Ornament und Verbrechen, Zwitschermaschine, 37,2, Pfff..., Rennbahnband, Kartoffelschälmaschine, Die letzten Recken, Die Gehirne oder Die Strafe praktizierten den radikalen Normbruch in einem Klangspektrum zwischen Free Jazz, Anarcho Jazz, Free Style, Noise, Punk und NDW-Elektro abseits der institutionalisierten Kulturöffentlichkeit.
Von besonderer, wegweisender Bedeutung für die unangepasste Szene in der DDR, ihre Selbstfindung und Suche nach Freiräumen künstlerischer Existenz war das zweitägige Festival Intermedia I in Coswig bei Dresden. Anfang Juni 1985 agierten dort genre- und medienübergreifend Maler, Musiker der Freejazz- und Punkszene, Super-8-Filmer, Performer und Tänzer vor über 1.000 Besuchern aus allen Teilen der DDR. In einem eigens für die Ausstellung produzierten Film von Thomas Claus wird dieses Ereignis erstmals ausführlich dokumentiert.
Im Mittelpunkt des vom Goethe-Institut konzipierten Teils der Ausstellung (Kuratorin: Mathilde Weh), der zur Zeit durch die Welt tourt und in Deutschland bereits in München und Hamburg gezeigt wurde, stehen dabei sieben Bands aus der damaligen BRD: Deutsch Amerikanische Freundschaft (D.A.F.), Einstürzende Neubauten, Freiwillige Selbstkontrolle (F.S.K.), Mania D./Malaria!, Palais Schaumburg, Der Plan, Die Tödliche Doris sowie als Exkurs in den Osten die Band Ornament und Verbrechen (DDR).
Mit deutschen Namen und Songtexten setzten sie sich bewusst vom englischsprachigen Mainstream ab. Die Wegbereiter der Szene gründeten unabhängige Plattenlabels, Magazine, Galerien und Clubs. Besonders in den Kunsthochschulen entwickelte sich eine Dynamik, die geprägt war durch genreübergreifendes Experimentieren auf der Suche nach einer neuen, bisweilen schockierenden Ästhetik. 1981 fand im (West-)Berliner Tempodrom ein Festival statt, dessen falsch geschriebener Titel zum Synonym für die westdeutsche Subkultur der frühen 1980er Jahre wird: „Geniale Dilletanten“.
Dargestellt wird diese alternative Szene anhand von Videos, Fotos, Hörbeispielen, Plattencovern, Magazinen, Plakaten, selbstgebauten Instrumenten und Bühnenrequisiten. Im Kontext der alternativen Musikszene werden ausgewählte Bilder der „Neuen Wilden“ (von Bernd Zimmer, Helmut Middendorf, Martin Kippenberger und Rainer Fetting) gezeigt, die der figurativen Malerei in West-Deutschland ab Ende der 1970er Jahre zu neuer Popularität und Bedeutung verhalfen. Der von Mathilde Weh produzierte Interviewfilm mit Protagonisten der Zeit, die Künstlerfilme von Yana Yo, Helge Leiberg, Brigitte Bühler & Dieter Hormel, Norbert Meissner, Christoph Doering und Ramona Welsh, zusammengestellt von Florian Wüst, sowie Filme zur Bildenden Kunst von Jacqueline Kaess-Farquet und zur Mode von Knuth Hoffmeister und Reinhard Bock ergänzen die Einblicke in die damalige Szene.
Zur Ausstellung wird ein Vermittlungs- und Begleitprogramm angeboten, wie ein Konzert mit der Band Ornament und Verbrechen, Gespräche mit Künstlern, Kuratorenführungen, Rundgänge, Angebote für Schulklassen im Lernort Albertinum und eine Podiumsdiskussion zum Festival Intermedia I.