21.07.2012 - 07.10.2012
Hartmut Neumanns abstrakte, skulpturale, utopische und inszenierte Sicht auf Natur bildet einen vorgegebenen Bezugsrahmen zu den Arbeiten von Alfred Ehrhardt, auf die sich der Künstler in dieser für die Alfred Ehrhardt Stiftung konzipierten Ausstellung bezieht. Neumann nimmt den dialogischen Ansatz der Ausstellungstätigkeit der Stiftung auf, der in der Gegenüberstellung der historischen Fotografie und Filmkunst von Alfred Ehrhardt mit zeitgenössischen Fotografen und Fotografinnen liegt, die sich in ihrem Werk grundlegend mit dem Begriff der „Natur“ und den „Konstruktionen des Natürlichen“ auseinandersetzen.
Hartmut Neumann komponiert ausgestopfte Tiere, pflanzliche Elemente, natürliche Materialien und künstliche Erzeugnisse assemblageartig zu Bildwelten von erschreckender Künstlichkeit. Er konstruiert Natur, die sich zwar aus erkennbaren natürlichen Formen zusammensetzt, die aber dennoch irritierend fremdartig erscheint. Er inszeniert absurde Bildwelten zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit. Präparierte Finken und Meisen verstecken sich in aus Bauschaum aufgeworfenen Eisgrotten, Sittiche brüten vor einer Wand aus Plastikpflanzen und Tierfell, Styroporkugeln, Kunststoffringe und Isoliermaterialien mutieren zu einer stellaren Konstellation im tiefschwarzen Kosmos. Einen Schwerpunkt der Ausstellung bilden Arbeiten, die sich mit dem Thema des Kosmos befassen. Sowohl in seinen Fotografien als auch in der Malerei konstruiert er außerirdische Welten aus Formen und Gegenständen, deren kosmologischer Charakter sich erst durch die Art und Weise erschließt, wie er sie zueinander in Beziehung setzt. Nachdem Hartmut Neumann seine Arrangements fotografiert hat, werden sie wieder zerstört. Sie überdauern einzig im Medium der Fotografie.
Die schier unerschöpfliche Fülle seines Formenrepertoires ist getragen von der Idee der Kunst- und Wunderkammer, wo „artificialia“ und „naturalia“ wie in einem Mikrokosmos des Universums eng verzahnt wurden. Aber auch naturkundliche Dioramen und Naturdarstellungen historischer Fachbücher haben die Formensprache des Künstlers angeregt. Als Motivquelle diente ihm seine über Jahrzehnte hinweg zusammen getragene eigene Sammlung ausgestopfter Tiere, angereichert durch weitere Naturversatzstücke, allerlei Objekte verschiedensten Materials und etliche Alltagsgegenstände. Neumanns rätselhafte Bilderfindungen zeichnen sich durch Opulenz und überbordenden Detailreichtum aus. Seine theatralischen Natur-Inszenierungen von selten gesehenem Wahnwitz hinterlassen einen intensiven Eindruck. Etwas unheimlich kommen sie daher, die von Präparatoren geformten Häute, Federn und Felle verstorbener Lebewesen. Ihr stierer Blick, ihre räudige Hülle, die Unbeweglichkeit ihrer den natürlichen Bewegungsabläufen angelehnten verlebendigenden Pose, geeint mit der Erstarrung des Moments im fotografischen Bild, lässt uns erschauern. Die künstlerisch überformten Naturstücke halten das Tote wie eine Reliquie lebendig und hauchen ihm ein zweites, künstlich-künstlerisches Leben ein.
Die von heimischen und exotischen Tieren bevölkerten utopischen Gärten beschreiben eine Paradieswelt, in der es keine Menschen gibt. Der Künstler wird zum Welten-Neuschöpfer, der alte Wettstreit des Künstlers mit der Natur ist hier als mehrschichtiger Prozess präsent. Aber Hartmut Neumanns ungemein faszinierenden wie beunruhigenden Bilder sind alles andere als abbildhafte Naturstücke oder Darstellungen einer paradiesischen Urnatur. Es sind Artefakte und Konstruktionen, deren mit den Mitteln der Malerei, Grafik, Skulptur und Fotografie erstellte Künstlichkeit deutlich im Vordergrund steht. Hatte Stephan Berg 1999 geschrieben, Neumann sei „maßlos im Anspruch, alles, restlos alles in Malerei zu verwandeln und dabei Maßstäblichkeit, Verhältnismäßigkeit und malerische Konventionen komplett zu opfern“, so gilt Gleiches in der Zurückführung der skulpturalen Objekt-Assemblagen in die zweidimensionale schwarz-weiße Fläche der Fotografie. Die Fotografie erlaubt ihm den Freiraum, sich mit scheinbar verdächtigen Themen ohne Rücksicht auf bildnerische Konventionen uneingeschränkt auseinanderzusetzen.
Hartmut Neumann, 1954 in Delmenhorst geboren, studierte an der Hochschule für Kunst in Bremen bei Prof. Rolf Thiele. 1983 „Kunstpreis Junger Westen“, 1985/86 Stipendiat der Villa Massimo, 1988 Kunstpreis des Deutschen Künstlerbundes. Zahlreiche Gruppen- und Einzelausstellungen (u.v.a. Kunstmuseum Düsseldorf 1991, Kunsthalle Recklinghausen 1992, Ludwig Forum Aachen 1998, Von der Heydt-Museum Wuppertal 2000, Herzog-Anton-Ulrich- Museum Braunschweig 2003, Forum Kunst Rottweil 2009). Seit 1992 Professur für Malerei an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.