Mit der Ausstellungsreihe „Blicke in die Sammlungen“ erschließt das Altonaer Museum regelmäßig die eigenen Objektbestände unter verschiedenen thematischen Schwerpunkten. Der Beginn des Ersten Weltkrieges vor einhundert Jahr en im Juli/August des Jahres 1914 bietet den Anlass, Dokumente und Sachzeugnisse in einer Präsentation zusammenzuführen, die in unterschiedlicher Form Auskunft gibt über die Auswirkung des „Großen Kriegs“ auf die seinerzeit noch selbständige Stadt Altona und ihre Einwohner. Wie hat der Krieg das Leben der Menschen in der Stadt verändert? Wie wirkten nationale Stimmung und Propaganda auf Sie ein? Was bedeuteten die im unerwartet langen Kriegsverlauf zunehmenden Opferzahlen und die Mangelwirtschaft für die Altonaer? Wie erfuhren sie von der schrecklichen Wirklichkeit an der Front? Welchen Widerhall hatte der Krieg in de n Aktivitäten des Städtischen Museums? Welche Erinnerungsstücke aus diesen bewegten Jahren gelangten in die Sammlungen des Altonaer Museums und warum?
Die präsentierten Sammlungsobjekte vermitteln jedes für sich einen exemplarischen Einblick in regionale Aspekte des aktuell breit diskutierten Themenfeldes und ergänzen gleichzeitig die Ausstellung „350 Jahre Altona. Von der Verleihung der Stadtrechte bis zur Neuen Mitte (1664- 2014)“ um eine weitere Perspektive.
Maßgeblich mitgewirkt an der Sammlungspräsentation haben die beiden Mitarbeiterinnen, die im Rahmen des Freiwilligen Sozialen Jahr Kultur der Jahrgänge 2013 und 2014 am Altonaer Museum tätig waren.
Die Stadt Altona hatte 1914 ca. 175.000 Einwohner und sich im Laufe des 19. Jahrhunderts von einer holsteinischen Hafen- und Gewerbestadt zu einem Industriestandort gewandelt, mit der Einquartierung des Infanterie-Regiment „Graf Bose“ (1. Thüringisches) Nr. 31 in der Viktoria- Kaserne auch zum preußischen Garnisonsstandort . Eisenbahnanschluss, Hafen, Kleingewerbe und Industrie prägten den Ort, besonders verstärkt durch den Zusammenschluss mit dem benachbarten Ottensen 1889. Arbeiterviertel und bürgerliche Wohnviertel bestanden nebeneinander, seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Bemühungen verstärkt, Altona durch neue Bebauungspläne für das Bü rgertum noch attraktiver zu gestalten.
Die im Frühjahr 1914 anlässlich des 250jäh rigen Stadtjubiläums eröffnete Deutsche Gartenbauausstellung sollte ebenfalls zur Hebung der Wohnqualität beitragen. Seit der Reichsgründung 1871, besonders aber seit dem Regierungsantritt Kaiser Wilhelm II. 1888 beherrschte das Streben nach der Weltmachtstellung Deutschlands die Leitlinien der Politik und der öffentlichen Meinung. Stolz auf die deutsche Literatur- und Geistestradition verband sich mit der gesteigerten Prosperität infolge tech nischen Fortschritts und wissenschaftlicher Entwicklung. Der Erwerb von Kolonien und das Flottenwettrüsten führten zu Interessenkonflikten mit anderen imperialistischen Großmächten. Außenpolitische Krisen waren seit längerem mit diplomatischen Mitteln beigelegt worden, bargen aber den Keim für den nächsten Konflikt. Zunehmend nahm der Nationalismus chauvinistische Züge an, die sich in Alltagsgegenständen, ja sogar Spielzeug wieder finden. Als infolge der „Julikrise“ nach der Ermordung des österreichischen Thronfolgers sc hließlich auf Ultimaten und Mobilmachungen die Kriegserklärungen der in zwei Bündnissystem en organisierten Staaten folgten, herrschte neben nationaler Jubelstimmung auch Zuversicht auf einen kurzen, siegreichen Kriegsverlauf.
In der Präsentation sind aus der Sammlung des Museum sind neben dem Gemälde „Altona bei Kriegsbeginn“ von Fritz Peters-Weber (1872-1916) eine um 1900 entstandene Reiterstatue von Wilhelm II. sowie einige Brettspiele mit Titeln wie „Der Eiserne Kanzler“ oder „Das Eiserne Kreuz“ und Kinderbücher wie „Nesthäkchen und der Weltkrieg“ zu sehen.
Darüber hinaus sind neben Gewehren, Bajonetten und Pickelhauben aus den Jahren 1900 bis 1914 Postkarten, Briefe und Fotoalben von Frontsoldaten ausgestellt. Eine Dokumentation für die Folgen des Krieges stellt eine Sequenz vo n Fotografien des Altonaer Fotografen Emil Puls dar, der selbst als Soldat an der Westfront eing esetzt war und auf den Bildern die Rehabilitation von Kriegsbeschädigten festgehalten hat.
Zwei Objektgruppen in der Präsentation verdienen besondere Aufmerksamkeit, da sie den Einfluss des Krieges auf die Situation in Altona auf spezielle Weise illustrieren: Der „Isern Hinnerk“ und die Zeugnisse der Rohstoffsammlung.
Im zweiten Kriegsjahr des Ersten Weltkrieges kamen in Österreich-Ungarn und im Deutschen Reich Nagelveranstaltungen auf: hölzerne Standbil der wurden auf öffentlichen Plätzen errichtet, die Bevölkerung konnte Nägel kaufen und einschlagen. Das so gesammelte Geld wurde vom Roten Kreuz für die Verwundeten- und Hinterbliebenenfürsorge verwendet. In Altona wurde das Standbild „Isern Hinnerk“ des Altonaer Bildhauers Otto B. Wessel im Park vor dem Altonaer Museum am 7. Juli 1915 eingeweiht. Namensgeber der Figur war Graf Heinrich II. von Holstein- Rendsburg (ca. 1317-1384), der als Söldner und Landesherr bereits zu Lebzeiten den Beinamen „der Eiserne“ trug. Das öffentlich vollzogene Nageln diente wie auch das Zeichnen von Kriegsanleihen oder der Tausch von Goldsc hmuck im Austausch gegen Eisenschmuck der Kriegsfinanzierung.
Gleichzeitig diente die Nagelveranstaltungen Propagandazwecken, da sie besonders augenfällig die Verbundenheit von „Heimat“ und „Front“, von Zivilbevölkerung und den Soldaten an den Kriegsschauplätzen zeigten. Wer einen Nagel gekauft und eingeschlagen hatte, durfte sich in einem Nagelbuch eintragen. Die Nägel für den „Isern Hinnerk“ kosteten 50 Pfennig, es gab allerdings auch versilberte für 2 oder 5 Ma rk sowie goldfarbene für 100 Mark. Das erste Nagelstandbild wurde in Wien am 6. März 1915 errichtet, weitere Skulpturen folgten innerhalb kurzer Zeit in fast allen Städten Österreichs un d des Deutschen Reiches. Auch beispielsweise in den USA sammelten Auslandsdeutsche mit Hilfe von Nagelbildern Geld. Zum Motivrepertoire zählten neben historischen und zeitgenössische n Personen auch allegorische Darstellungen, Heiligenfiguren, Wappentiere und Sagenhelden. Viele Standbilder wurden bald nach Kriegsende verfeuert.
Der „Isern Hinnerk“ war eines der zentralen Objekte in der diesjährigen Ausstellung „Krieg und Propaganda 14/18“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe und ist nun wieder als Teil der Sammlungspräsentation im Altonaer Museum zu sehen.
Bei Beginn des Ersten Weltkriegs waren die kriegführenden Staaten wirtschaftlich gesehen schlecht vorbereitet. Alle Seiten hatten mit einem kurzen heftigen Bewegungskrieg nach dem Muster der europäischen Kriege des 19. Jahrhunderts gerechnet. Innerhalb kürzester Zeit machte sich bei den Mittelmächten die englische Seeblockade bemerkbar, da die Industrien in hohem Maße vom Rohstoffimport abhängig waren. Dank der Initiative einiger Ingenieure und Industrieller, unter ihnen der spätere Außenminister der Weimarer Republik Walther Rathenau, wurde in Deutschland eine straff zentralistische Rohstoffverwaltung (Kriegsrohstoffabteilung) aufgebaut. Neuerschließung inländischer Ressourcen, Umstellung der heimischen Industrie, Ersatzstoffentwicklung waren nur die wichtigs ten Mittel der Zwangs- und Mangelwirtschaft. Als man bei der Mobilisierung von Rohstoffen zunehmend findiger werden musste, wurde bei den Sammlungen von Hausrat bereitwillig gegeben. Messing-, Kupfer-, Bronze- und Zinngegenstände sind in Hamburg in den Sc huppen der Hamburg-Amerika-Linie zunächst gesammelt und von Kunstgewerbeschülern unter der Leitung des Altonaer Museumsdirektors Otto Lehmann auf ihren Erhaltungswert untersucht worden. Lehmann hielt sich nicht ohne Stolz zugute, wenigstens 18 Tonnen auf diese Weise vor dem Einschmelzen gerettet zu haben, denn bei aller patriotischer Empathie, die sich in seinen Schriften findet, stand er dem Rohstoffbezugssystem mit mannigfaltigen privaten Bereicherungsmöglichkeiten kritisch gegenüber.
Nach Kriegsende war ein gewaltiger Überschuss von nicht eingeschmolzenen Gegenständen aus Buntmetallen vorhanden, der mehrheitlich den früheren Besitzern nicht zurückerstattet werden konnte. Die Gegenstände kamen ins Museum und wurden zu amtlich festgesetzten Preisen abgegeben an andere Museen und „Personen [...], die sich verpflichteten, die Stücke ihres Kunstwertes wegen zu behalten und nicht weiter zu verkaufen" (Lehmann, Lebenserinnerungen). Augenfälligstes Zeugnis dieser Vorgänge ist das weitreichende Fehlen von Haushaltsgerät aus Kupfer und Messing in Deutschland. Im Altonaer Museum war der Teilbestand „Metallsammlung 1. Weltkrieg“ lange im kollektiven Gedächtnis der MitarbeiterInnen abgelegt. Im Zuge eines Projek ts wurde 2008 der genaue Umfang bestimmt und als digitale Inventarisate ins Internetportal Museen Nord eingestellt.
In der Präsentation werden Fotos vom für die Hinterbliebenenfürsorge eingesammelten Gold- und Silberschmuck und Objekte wie ein aus eine m Stahlhelm hergestellter Kochtopf und eine aus einer Granathülse fabrizierter Aschenbecher gezeigt.