Acht Millionen Displaced Persons befanden sich nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland. Die ehemaligen jüdischen und nichtjüdischen KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen waren von den Nationalsozialisten und deren Unterstützern aus ihrer Heimat deportiert worden und hatten das nationalsozialistische Terrorsystem überlebt. Eine neue Sonderausstellung im Deutschen Auswandererhaus Bremerhaven erzählt die Geschichte der Displaced Persons – von ihrer Verschleppung bis zum Neuanfang in Übersee.
„Du lebst in einer Kapsel, Du lässt Dich durch nichts berühren – so überlebst Du.” In diesem Zustand hält Esther Bauer erst das Ghetto Theresienstadt, dann die Konzentrationslager Auschwitz und Mauthausen aus. Sie hätte auch anders überleben können: 1939 begleitet ihr Vater zwei jüdische Kindertransporte von Hamburg nach London. Seine eigene Tochter war nicht darunter. Erst vierzig Jahre später beginnt sie über das Erlebte zu sprechen. Die Belgierin Elza Neirynck wird als Zwangsarbeiterin deportiert, ihr Transport endet im Haus ihrer zukünftigen deutschen Schwiegereltern. Das Hochzeitskleid, das sie 1944 bei ihrer Hochzeit mit dem deutschen Besatzungssoldaten Karl-Heinz Schüler trägt, ist ebenso in der Ausstellung zu sehen wie die Geschichte der inzwischen 90-jährigen Esther Bauer, die sie Kuratoren des Museums im Mai 2014 in ihrer Heimat Yonkers, New York, erzählte.
Zwei Lebenswege voller schwerwiegender Zufälle – typisch für viele Displaced Persons. Filme, autobiographische Zeugnisse, Erinnerungsobjekte und familiäre Schnappschüsse zeugen in der Sonderausstellung vom Überleben von 14 Displaced Persons. Von den meisten der acht Millionen Displaced Persons weiß man nur ihren Namen. Vor allem bei den vielen nichtjüdischen russischen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen verliert sich die Spur.
Vielleicht ist der eine oder andere auf den 30 Schwarz-Weiß-Fotografien des Künstlers Clemens Kalischer zu sehen die das Deutsche Auswandererhaus für seine Sammlung erworben hat und die in der Ausstellung gezeigt werden. Aufgenommen hat er sie 1947/48 in New York, als dort Schiffe aus Bremerhaven mit Displaced Persons ankommen, die in die USA auswandern. Clemens Kalischer hat sich unter sie gemischt, sie auf den einfahrenden Schiffen, in der Ankunftshalle und beim Wiedersehen mit ihren Verwandten fotografiert – ohne nach ihren Namen oder ihrer Herkunft zu fragen. Sofort ins Auge fällt die elegante Kleidung, die im Kontrast steht zu den ausgemergelten, müden und nervösen Gesichtszügen. Es handelt sich um Kleiderspenden, von Hilfsorganisationen bereitgestellt, oder um Kleider, die von Familien ehemaliger SS-und SA-Angehörigen beschlagnahmt wurden.
Für Kalischer ist sein Zyklus „Displaced Persons” ein sehr persönliches Projekt: 1933 war er selbst im Alter von zwölf Jahren mit seiner jüdischen Familie von Berlin nach Paris emigriert, kam 1939 in ein französisches Internierungslager und wurde als Zwangsarbeiter ausgebeutet. 1942 gelang ihm die Flucht in die USA, fünf Jahre später porträtierte er die ankommenden Displaced Persons. Der inzwischen 93-jährige Fotograf arbeitete in seiner langen Karriere für so renommierte Medien wie „Newsweek” und „New York Times”. In seinem Heimatort Stockbridge, Mass., gab er Kuratoren der Ausstellung im Mai 2014 ein Interview, das im Deutschen Auswandererhaus in dem Video „Augenblicke” zu sehen ist. Darin erzählen er und seine Tochter Tanya Kalischer, wie ihm die Flucht aus Deutschland und später aus Frankreich in die USA gelang.
Schon über die Aufnahme jüdischer Flüchtlinge wie Clemens Kalischer waren in den USA Ende der 1930er Jahre politische Debatten geführt worden. Zehn Jahre später folgte die Diskussion über die Frage der Aufnahme von Displaced Persons. Eigentlich hatten die USA bereits 1943 geplant, alle Displaced Persons zu repatriieren, also in ihre Heimat zurückzuführen. Dies gelang bei fünf Millionen. Die Hintergründe zu dieser Entwicklung werden in derAusstellung an einem von insgesamt sieben Thementischen erläutert. Historische Dokumente, Fotografien, Kartenmaterial und Statistiken zeigen die wichtigsten Stationen der Geschichte der Displaced Persons. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf denjenigen, die ursprünglich aus Deutschland, Belgien, Polen und der Tschechoslowakei stammten.
So wie der Tschechoslowake Samuel Weiss, der als einziger in seiner Familie das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau überlebte und 1947 über Bremerhaven in die USA auswanderte. Dort heiratet er die Mexikanerin Margarita. Der gemeinsamen Tochter Vivian erzählt er von der Ermordung ihrer Großeltern, als diese fünf Jahre alt ist. Für die Tochter war die Haltung ihres Vaters prägend – ohne verbittert zu sein, schaute er stets nach vorne „Er hat den Albtraum durch-, aber nicht weitergelebt”, erzählt Vivian Weiss.