Das Bild der Bayern – in keiner anderen Region kommt es so klischeehaft daher wie in Oberbayern. Einfältig, trunksüchtig und rauflustig – so müssen die Dorfbewohner auf dem Land sein! Das zumindest dachte sich die städtische Bevölkerung, die es im ausgehenden 19. Jahrhundert in Oberbayern aufs Land zog. Schnell war die Rede von den „g’scheerten Lackl’n“ und von den „Strizzis“. Auf Karikaturen zogen sie unter dem Motto „Schön san mer net, aber gesund“ durchs Dorf. Woher diese Bilder stammen, was von Fremden kommt und was die Betroffenen selbst dazu beigetragen haben, damit beschäftigt sich diese Ausstellung.
Andreas Koll (Ausstellungskurator):
"Das Land Oberbayern ist ein gesegnetes Land, gesegnet durch unbeschreibliche Schönheit. Wer Idyllen sucht zum Verweilen, wird sie hier finden. Keine Gegend in Deutschland ist derart mit Mythen, Vorurteilen und Klischees beladen wie Oberbayern in seiner Gleichsetzung mit dem Land Bayern, keine Gegend ist derart zur Marke geworden und die besagt: Hier gehen die Uhren immer „a bisserl“ anders. Hier ist es normal „a bisserl“ verrückt zu sein. Bayern ist bodenständig, gefeit gegen Moden und Schnelllebigkeit. In Bayern herrscht die Liberalitas Bavariae, die steht für Weltoffenheit, für „Leben und Leben lassen“, und der Föhn weht immer ein bisschen Italien herüber, Leichtigkeit und Lebenslust. Außerdem: Bayern ist ursprünglich und wild. In Bayern wird seit jeher geplattelt, gerauft, gefensterlt, gesungen, gewildert, viel gebetet und noch mehr getrunken.
Aus den Vorlieben der Bayern wurden Bräuche, Rituale, Traditionen. Tradition meint immer beides, Theater und Leben. Das Land Bayern ist Kulisse, ist Bühne, auch und vor allem für die vielen Besucher aus nah und fern. Und die Leute, die hier wohnen, haben seit weit über 100 Jahren verinnerlicht, sich selbst zu inszenieren, „eigenartig“ zu sein – es ist ihnen zur Natur geworden. Für sie ist das Vorführen und Ausleben ihrer Bräuche Herzensangelegenheit und Ausdruck von Identität, Zugehörigkeit und Selbstverständnis. „So samma, und i bin oana davo.“ Man ist stolz darauf, sich im Besonderen von allen andern unterscheiden zu können. Das Alltägliche wird zum Theater, das vorgibt, das Alltägliche zu zeigen. Auf Fremde wirkt das seit jeher extrem exotisch.
Die Ausstellung fragt: Wie präsentieren sich die Bayern, wie werden sie von Fremden gesehen? Wie kam es zu diesen Sichtweisen, welche Erwartungen und Vorurteile werden da transportiert, und wie spiegelt sich das alles in der volkstümlichen Unterhaltung?
Denn wie wenig sonst bildet die populäre Unterhaltung Lebensgefühl, Denkungsweisen und Sehnsüchte ihres Publikums ab. In der bayerischen volkstümlichen Unterhaltung finden die Bayern den „Ausdruck ihrer Seele“, der sie von allen anderen unterscheidet. „Schaut, so reden, so fühlen, so sind wir.“ Über Geschichten, erzählt von Sängern und Schauspielern, erfahren sie die „Wirklichkeit“ ihrer Heimat als den innersten Grund ihres Wesens. Hier findet jeder Selbstbestätigung und Vorbilder für sein ganz persönliches „Bayerisches Sein“. Und seit jeher liebt man in Bayern die Komödie.
Nach der Gründung des Königreichs Bayern 1806 war es den Bayerischen Königen ein Anliegen, ein eigenes bayerisches Nationalgefühl zu schaffen. Ein neuer Zeitgeist bestärkte die Menschen, ihre Bräuche zu pflegen und begründete das Bewahren von Traditionen und das Tragen von Tracht. Dazu begannen Adelige und wohlhabende Städter die Alpenregionen und das Voralpenland zu bereisen – die Anfänge des alpenländischen Tourismus. Dies wirkte vorbildhaft für alle anderen städtischen Bevölkerungsschichten. Die Sommerfrische wurde zum Massenereignis und das ländliche Bayern zum Inbegriff für Natürlichkeit und Urwüchsigkeit. Die Menschen auf dem Land begannen ihre Gegenden dem gewaltigen Ansturm von Sommerurlaubern anzupassen und zu erschließen. Dazu schufen sie Unterhaltungsprogramme für die Touristen, indem sie ihre alten Bräuche ritualisierten. Aus privaten, vielleicht einmal bei ausgelassenen Festen praktizierten Vorlieben wie etwa dem Schuhplatteln wurden so öffentliche Vorführungen für Städter. Bayern kam in Mode.
Derweil entwickelte sich München zur Großstadt. Tausende zogen vom Land in die Stadt. Diese Neu-Städter machten sich nun auf den Bühnen der volkstümlichen Vergnügungsstätten über die Landbevölkerung lustig, um sich von ihr abzugrenzen. Und so finden wir in der Stadt ab Mitte des 19. Jahrhunderts, dargestellt am Beispiel München, gleichzeitig zwei völlig konträre Sichtweisen der bayerischen Landbevölkerung: Zum einen verklärte man sie zum Sinnbild für ursprügliches und natürliches Leben, zum andern diffamierte man sie als rückständige Trottel. So ziemlich alles was mit dem "Mythos" Bayern zu tun hat, entwickelte sich aus der Polarität Stadt - Land."