11.11.2007 - 24.02.2008
Unterhalten sich zwei Dichter-Ehefrauen:
»Leidet Ihr Mann eigentlich auch immer so unter dem Schreib-Block?« Die andere: »Ach nein. Der schreibt drauf!« - Der kleine Dialog steht in einem von Robert Gernhardts Schreibheften, die ihn vom Sommer 1978 bis zu seinem Tod im Juni 2006 auf Schritt und Tritt begleitet haben: 675 Stück insgesamt, alle DIN A 5 groß, unliniert und unkariert und am Ende immer Marke »Brunnen«, beschrieben mit einem Schwarm gelber »BIC«-Kugelschreiber.
Die Masse könnte bedrohlich sein, wenn nicht jedes einzelne dieser Hefte ein Fenster in einen Kosmos ungeheurer Produktivität aufstieße.
»Vieles«, so heißt es 1986 im Klappentext von Gernhardts
Buch Kippfigur, »kippt und wird gekippt: Spaß in Ernst, Erhabenes in Lachhaftes, Wein in Kehlen«. Doch wie viel Striche gehören zu einem Bild und wie viel Wörter zu einem Text? Wann kippt Buchstäblichkeit in Abstraktion, Nicht-Kunst in Kunst, das Bild in sein Abbild, ein Körper in seinen Schatten, ein Gegenstand in seine bewegte Geschichte, die eigene Hand in ein fremdes Gegenüber,
Dasein in Wegsein, Komik in Trauer, Lust am Unsinn in Melancholie, schlechter Geschmack in leisen Witz oder auch die Schulaufgabe in eine Erfindung sprudelnder Fantasie?
Das magische Instrument der Brunnen-Hefte bannt dem Menschen zuliebe eine Welt, der zwischen Himmel und Hölle nichts fremd ist. Redensarten werden aufgeschnappt, Ideen aufgespießt, Tiere hypnotisiert, tote Dinge aufgebahrt und Schatten eingefangen. Der Kuli kann das Licht vom Himmel genauso herunterholen wie den Augenblick am Wimpernschlag packen oder die Angst vor den weißen, den leeren Seiten überwinden:
»Welch ein wunderbares Heft – / welch ein herrliches
Geschäft – / dieses Heft hier vollzuschreiben
/ da zu sein und tollzubleiben / denkend;
machend, / lenkend, lachend, / sinnend, kritzelnd / spinnend, witzelnd – / all das klingt so grauenhaft, / daß es die schönsten Frauen schafft.«
Kurz vor seinem Tod im Juni 2006 hat Robert Gernhardt notiert: »Ich bin – und die Dimension machen mir erst jetzt die Brunnen-Hefte klar – ich bin Zeit meines Lebens ein homo producens gewesen«. Eine selten nüchterne Sicht auf das eigene Lebenswerk offenbart sich hier, eine Gelassenheit,
die um den nahen Abschied weiß, aber auch ein Staunen angesichts der Fülle dessen, was bleiben wird.