Das Fotografie Forum Frankfurt zeigt zentrale Werkgruppen der renommierten US-Fotojournalistin Susan Meiselas. Im Fokus der ersten Einzelschau in Deutschland: der einzigartige dokumentarische Stil der Magnum-Legende, die Aktualität ihres Lebenswerks sowie in Frankfurt entstandene Arbeiten. Meiselas setzt ins Bild, was Not, Gewalt, Krieg und Zwangsmigration mit Menschen machen.
Verfolgung, Vertreibung, Flucht, Verlust von Heimat und Biografie – seit Jahrzehnten dokumentiert die preisgekrönte amerikanische Fotojournalistin Susan Meiselas (*1948) politische und historische Ereignisse und deren Folgen für Menschen. Mit "CARRYING THE PAST, FORWARD" präsentiert das Fotografie Forum Frankfurt die erste umfassende Einzelausstellung der legendären Magnum-Fotografin in Deutschland. Präsentiert werden zwei zentrale Werkgruppen, die Meiselas' Lebenswerk repräsentieren und zugleich einen Bogen zur aktuellen Flüchtlings- und Migrationsdebatte in Europa schlagen.
Susan Meiselas ist bekannt für ihren dokumentarischen Stil und ihr multimediales visuelles Storytelling. Sie fotografiert, führt Interviews, macht Filme, produziert mit den Menschen vor Ort handgemachte Fotobücher, verarbeitet Archivmaterial, recherchiert Fakten aus bestehenden Archiven und trägt überlieferte und erzählte Daten zu neuen Archiven zusammen. Ihren dokumentarischen Ansatz nutzt Meiselas kontinuierlich zur Überprüfung und Hinterfragung geschichtlicher Entwicklungen. Über Jahre hinweg kehrt sie in ihren verschiedenen Projekten immer wieder zu den fotografierten Orten und Menschen zurück, fotografiert, filmt und interviewt erneut. Gleichsam in der Art einer empirisch arbeitenden Sozialforscherin konserviert die Fotokünstlerin historischen Bestand und dokumentiert historischen Wandel. Den Menschen unterwegs, ob Flüchtling oder Migrant, verschafft sie mit ihren Arbeiten für einen Moment Verortung, einen Raum zum Innehalten, eine Repräsentanz. Das Allgemeingültige von Geschichte und das Höchstpersönliche von Schicksalen fallen so in Susan Meiselas‘ Werk immer zusammen.
"Mit ihrem ganz eigenen Ansatz hat Susan Meiselas das Genre der dokumentarischen Fotografie im 20. Jahrhundert bis heute geprägt und entscheidend weiterentwickelt", sagt Celina Lunsford, künstlerische Leiterin des Fotografie Forum Frankfurt. „Wir freuen uns, die bedeutende Magnum-Fotografin mit der ersten umfassenden Einzelausstellung in Deutschland präsentieren zu können."
"CARRYING THE PAST, FORWARD" zeigt zwei umfangreiche Werkgruppen. "Crossings" umfasst frühe Fotografien und Bildarbeiten aus El Salvador, Nicaragua und von der Grenze zwischen den USA und Mexiko. In den 1970er Jahren hat Susan Meiselas den politischen Umsturz in Zentralamerika dokumentiert. Für die Dokumentation der Revolution in Nicaragua erhielt die damals 31-Jährige Meiselas 1979 als zweite Frau den Robert Capa Prize für Fotojournalismus. Die in Frankfurt gezeigten Arbeiten geben Einblick in Meiselas‘ bahnbrechende Arbeit ab den späten 1970er und in den 1980er Jahren: In den zehn Jahren nach der ersten Dokumentation kehrte Meiselas immer wieder mit der Kamera an die zuvor fotografierten Orte zurück. Die dabei entstandenen Fotoarbeiten fügen sich wie Puzzlestücke zu einem historischen und biografischen Gedächtnis – oftmals das einzige Erinnerungsgepäck von Migranten, die aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen eine Grenze überqueren.
Die zweite Werkgruppe "Kurdistan: In the Shadow of History" basiert auf Meiselas‘ 1991 entstandener Fotoreportage über die Anfal-Kampagne, dem Genozid des Saddam-Hussein-Regimes an den Kurden im Nordirak. Die Fotografin dokumentierte die zerstörten Dörfer der kurdischen Flüchtlinge, die während des Golfkriegs in die Türkei und in den Iran geflohen waren. Sie begleitete ein Forensik-Team der Organisation Human Rights Watch und fotografierte die Entdeckung kurdischer Massengräber. Aus ihrem Interesse an der Geschichte und der kulturellen Identität der Kurden entstand eine sechsjährige fotografische Forschungsarbeit über die Geschichte der Region.
Ein weiteres zentrales Projekt dieser Zeit ist die Archiv-Website akakurdistan.com, die 1998 online ging (aka=also known as). Die interaktive Datenbank sammelt Bilder und persönliche Erinnerungen zur kurdischen Bevölkerung in Syrien, Irak, Iran und der Türkei und versteht sich als "grenzenloser Raum für ein kollektives Gedächtnis" einer verfolgten ethnischen Gruppe.
Aktuelle Bezüge erhält die Frankfurter Ausstellung durch handgemachte Fotobücher, die Susan Meiselas unmittelbar zuvor in einem Workshop mit Flüchtlingen erarbeitet hat. Zusammen mit früheren individuellen Erinnerungsbüchern sind sie in eine großflächige Kartografie installiert und berichten als biografische Bilder-Bücher über kurdische Schicksale in weiten Teilen der Welt. Auch sie geben Auskunft zu Susan Meiselas’ zentralen Fragestellungen: Was trägt ein Mensch an Vergangenheit bei sich, wenn er seine Heimat, seine Familie und alles Vertraute verlassen muss? Politische Gesinnung? Erinnerungen an Familie oder Biografie? Bewusstsein oder gar Stolz für seine Identität, seine Nationalität? “For those who remain, we rarely ask who they are or why this is the choice they have made. So we pass the silent faces on the street, in the stores, even in our own houses. We see their eyes, but we don’t know what their eyes have seen or what they see in us." Was Susan Meiselas 1990 zu ihrer Werkreihe “Crossings” ausführte, ist 15 Jahre später aktueller denn je.