22.06.2012 - 26.08.2012
Das experimentelle Projekt „The Subjective Object – Von der (Wieder-)Aneignung anthropologischer Bilder“ verbindet künstlerische Arbeiten und dokumentarisches sowie archivarisches Material. Ausgehend von der Fotografiesammlung des deutschen Anthropologen Egon von Eickstedt (1892-1965) verfolgt das Projekt wechselseitige Begegnungen in drei Etappen, die von Leipzig nach Dresden, weiter ins indische Tejgdah und nach New Delhi und wieder zurück nach Leipzig führen.
Die Präsentation des Projektes stellt Darstellungspraktiken im Museum und das Abbilden des „Anderen“ in den Vordergrund. Diese Themen werden aus drei Perspektiven reflektiert: der Umgang mit dem Archiv, künstlerische Positionen und die Situation der Adivasi heute. Ganz unterschiedliche Formate wie Diaprojektionen, Videoinstallationen, Grafiken und Fotografien bilden die Diskussionen ab.
Egon von Eickstedt war zur Zeit des Nationalsozialismus eine der bedeutenden Figuren auf dem Gebiet der Rassenkunde. 1946 wurde er als Professor für Anthropologie an die Universität Mainz berufen. Sein heute in Dresden gelagerter fotografischer Nachlass umfasst sowohl Aufnahmen, die dem Bereich der Ethnologie als auch solche, die dem Bereich der physischen Anthropologie zuzuordnen sind. Einen Schwerpunkt seiner Arbeit bildete die Forschung zu den Adivasi, der indigenen Bevölkerung Indiens.
Eine Perspektive der Ausstellung ist auf das Archiv gerichtet: Sie widmet sich der Problematik, ob und wie Bilder des „Anderen“, die im Rahmen anthropologischer Sammeltätigkeiten entstanden sind, gezeigt werden können. Den konkreten Gegenstand der Auseinandersetzung bildet das Konvolut von rund 15.000 Fotografien, mit denen Egon von Eickstedt von der „Deutschen Indien Expedition“ (1926–1929) zurückkehrte. Diese Sammlung umfasste, Eickstedts Angaben zufolge, „anthropologische Messungen von 3771 Individuen, eine fotografische Ausbeute von insgesamt 11695 Aufnahmen (7441 Typenaufnahmen und 4254 ethnologische Aufnahmen) sowie Tagebücher, Stammbäume, Einzelbeobachtungen, Blutuntersuchungen, osteologisches Material und Primatenmaterial“. Das heute als problematisch zu betrachtende Anliegen der physischen Anthropologie Eickstedts war es, durch die Gesamtheit der wissenschaftlich gesicherten Daten den „Typus“ einer „Rasse“ zu definieren und durch Forschung so ein klar bestimmbares Bild von „Rasse“ sowie von kultureller Differenz zu fundieren.
Vor dem Hintergrund aktueller Debatten um die Rückgabe ethnologischer Objekte, aber auch angesichts postkolonialer Diskurse und kritischer Anthropologie stellen sich Fragen nach den Kontexten, der Zugänglichkeit, der (Re-)Organisation und der Wissensproduktion des Archivs und wie Dokumente und Objekte ethnografischer Sammlungen heute in Museen präsentiert werden können.
Eine zweite Perspektive eröffnet eine Reihe künstlerischer Positionen, die sich kritisch mit den wissenschaftlichen Disziplinen Ethnologie und Anthropologie auseinandersetzen. Ethnologie und Anthropologie werden als Ausgangspunkt der Schaffung des Anderen in der Moderne gelesen. Die Abgrenzung des Anderen ist dabei immer auch ein Mittel zur Definition der eigenen Identität, denn im Blick auf den Anderen als Objekt vollzieht sich die Subjektwerdung des Betrachtenden. Dieser ehemals kolonial geprägte Blick wird in den zeitgenössischen künstlerischen Positionen nun umgekehrt. So reinszeniert etwa die indische Künstlerin Pushpamala N historische Fotografien anthropologischer Vermessungen und stereotyper Darstellungen südindischer Frauen, um ethnografische Techniken – wie sie sich nicht nur in der Kolonialzeit, sondern auch noch heute finden lassen – in einen kritischen Diskurs zu stellen.
Die dritte Perspektive ist auf die heutige Situation der Adivasi gerichtet. Anliegen dieses Zugangs ist eine Darstellung der aktuellen gesellschaftspolitischen Situation durch weitgehend dokumentarische Mittel. Anhand ausgewählter, exemplarischer Themen soll die komplexe politische Lage der indigenen Bevölkerung Indiens und deren Kampf um mehr Mitsprache sichtbar werden. Dieser brisante Prozess vollzieht sich im Spannungsfeld verschiedener kultureller, politischer wie ökonomischer Interessen, die über die nationalen Grenzen Indiens weit hinausgehen – und auch Deutschland betreffen.