27.08.2011 - 18.09.2011
Das russische Künstlerkollektiv Chto Delat? wurde 2003 von Künstlern, Kunstkritikern, Philosophen und Autoren aus Sankt Petersburg und Moskau gegründet. In ihren vielfältigen Aktivitäten verbinden sie politische Theorie, Kunst und Aktivismus. Das emanzipatorische Potential des Einzelnen und der Gesellschaft als Ganzes sowie die Rolle der Kultur in diesen Prozessen sind Themen, mit denen sich die Mitglieder der Gruppe sowohl gedanklich als auch in ihren Aktionen auseinandersetzen. Der Name Chto Delat? bedeutet übersetzt ‚Was ist zu tun?Â’ und ist dem Titel eines Romans von Nikolay Chernyshevsky aus den 1860er Jahren entliehen, in dem der Autor einen minutiösen Plan für den Aufbau einer sozialistischen Arbeiterorganisation entwirft. Vladimir Lenin übernahm den Namen später für sein politisches Konzept. Ein wichtiger Bestandteil der Arbeit der Gruppe ist die Reflexion über die Form des Künstlerkollektivs und dessen Bedeutung in der Vergangenheit und der Gegenwart und über den Einfluss, den Kollektivität auf die Produktion und Rezeption von Kunst hat.
Die Ausstellung Perestroika. Twenty years after: 2011-1991 ist die erste Einzelausstellung des international renommierten Künstlerkollektivs in Deutschland. Chto Delat?Â’s künstlerische Arbeit ist zutiefst politisch in ihrer Aufarbeitung von russischer Geschichte und zeitgenössischen Ereignissen. Die Ausstellung reflektiert die Entwicklung der Gesellschaft und der Wirtschaft in Russland nach der Perestroika 1991, als die Soviet Union aufgelöst und die Russische Föderation gegründet wurde. Die Ausstellung ist wie ein umgekehrter historischer Countdown strukturiert und beginnt im Kino der Brücke mit dem Film Tower: A Songspiel (2010). Der Film gibt einen Einblick in die jüngste, öffentliche Diskussion um die Pläne des staatlich kontrollierten Energiekonzerns Gazprom für den Bau des Okhta Centers in der Altstadt von Sankt Petersburg. Der Bau des Hochhauses hätte die berühmte Stadtsilhouette der historischen Altstadt, die auch UNESCO Kulturerbe ist, zerstört.
Betritt der Besucher den Ausstellungsraum, wird er zunächst von einer Installation aus Texttafeln und Plakatwänden, Videoarbeiten verschiedener Schaffensperioden des Kollektivs und von aus Holztafeln geschnittenen Skulpturen umgeben. Die hölzernen Silhouetten stellen auf den ersten Blick Figuren aus russischen Märchen und historische nationale Symbolcharaktere dar. In ihre jeweiligen grotesken Gegenteile verkehrt, werden sie jedoch zu sarkastischen Allegorien sozialer und politischer Phänomene in Russland.
Am Ende der Ausstellung wirft der Video-Film Perestroika-Songspiel. The Victory over the Coup (2008) einen Blick zurück zu dem historischen Moment des Volksaufstandes und des triumphalen Sieges der demokratischen Bewegung über die konservative Gegenbewegung im August 1991. Obwohl die Zeit der Perestroika voller Träume und Handlungen für eine neue Gesellschaft war, werden die Erfahrungen aus heutiger Sicht geschildert.
Das Projekt wird realisiert von Nikolay Oleinikov, Tsaplya (Olga Egorova), Glucklya (Natalia Pershina) und Dmitry Vilensky. Chto Delat? sind: Olga Egorova/Tsaplya (Künstlerin, Sankt Petersburg), Artiom Magun (Philosoph, Sankt Petersburg), Nikolai Oleinikov (Künstler, Moskau), Natalia Pershina/Glucklya (Künstler, Sankt Petersburg), Alexei Penzin (Philosoph, Moskau), David Riff (Kunstkritiker, Moskau), Alexander Skidan (Dichter, Kritiker, Sankt Petersburg), Kirill Shuvalov (Künstler, Sankt Petersburg), Oxana Timofeeva (Philosophin, Moskau) und Dmitry Vilensky (Künstler, Sankt Petersburg).
Das Kollektiv nahm bereits an Gruppenausstellungen in zahlreichen internationalen Institutionen wie dem New Museum, New York (2011), der 17. Biennale in Sydney (2010), bei Principio PotosÃ, Museo Nacional Centro de Arte Reina SofÃa, Madrid (2010), der Istanbul Biennale (2009) und dem NBK - Neuer Berliner Kunstverein, Berlin (2009) teil. Einzelausstellungen waren u.a.Study, Study and Act Again, Moderna galerija, Ljubjana (2011), Between Tragedy and Farce, SMART project space, Amsterdam (2011), The Urgent Need to Struggle, ICA, London (2010) und Chto Delat?, ar/ge kunst, Bolzano (2010). Im Oktober 2011 wird Chto Delat? in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden zeigen.