18.12.2007 - 27.01.2008
Die Welt des Malers Thitz ist klein. Mit großer Geste umschließt ein langer, gelb bekleideter Arm die Weltkugel. Lässig und fröhlich schaut er drein, der Mensch der dazu gehört, die Augen weit aufgerissen. Er gehört zu einer schmalen, grün gekleideten Person, die bereits ihr Gegenüber fest anvisiert und es besteht kein Zweifel, bei diesen Armen wird eine Umarmung schnell gelingen. Andere Menschen nutzen die eingezeichneten Breitengrade zum munteren Spazieren und auch sie werden mühelos in kürzester Zeit die Erde umrunden.
Die Figuren, die in diesen Bildern die Welt bevölkern, sind bewegliche Wesen. Sie scheinen jeglichen Naturgesetzen zu strotzen, sind befreit von der Schwerkraft und wohl allein ihrem Schöpfer untergeordnet. Ihre Ausstrahlung ist einzigartig, erfrischend und stets animierend zum genauen Hinsehen. Längst haben sie die Hochhäuser unserer Städte besetzt, haben sich in New York, London, Madrid oder Paris eingenistet und sind in der Lage ohne große Anstrengung große Entfernungen zu überwinden. Bunt und farbig sind sie, die Menschen in „Bag City“, rote und gelbe, grüne und braune Menschen, mit Locken oder langem, strähnigen Haar, das wild hinter ihnen her flattert. Mit besonderer Liebe werden sie mit den seltsamsten Kopfbedeckungen gekleidet, alles scheint denkbar in den Städten und Landschaften von Thitz. „Mr. London“ etwa kommt „very british“ daher und blickt, als moderner Robin Hood, mit langer Nase und beachtlichem Hut – es handelt sich um nichts geringeres als die Kuppel von St. Paul Cathedral – auf London. Auch das alte Empire haben sie also längst erobert, die bunten Menschen.
Und stets mit dabei ist der Künstler selbst, mal im Taxi, mal mit weit ausladenden Flügeln versehen, durch die Lüfte schwebend, in seinen gelben und roten Schuhen, die ihn wie die geflügelten Schuhe des Hermes schwerelos machen. Gelb und Rot, das sind seine Farben, die sich auch in der markanten Weste wiederfinden, in der Thitz so gerne erscheint.
Dabei fing doch alles so irdisch an mit Tüten und ihren Botschaften, Tüten aus aller Welt von Gemüseständen und Museen, von Kaufhausketten und Modehäusern. Die Botschaften auf diesen Tüten animierten Thitz zu Übermalungen und Collagen und es entstand, gewachsen in den vergangen zehn Jahren, ein weltumspannendes Imperium bestehend aus unzähligen bunten und munteren Menschenfiguren.
Ein Zentrum sucht man vergeblich in diesem weltumspannenden Reich. Eine Stadt aber ist immer wieder Schauplatz neuer Geschichten: New York. Die Häuser und Hochhausschluchten der Metropole, der Postkartenblick auf den Times Square oder das Flat Iron Building, die vielen Accessoires des Big Apple, immer wieder tauchen das Empire State Building oder in früheren Arbeiten die Zwillingstürme des World Trade Centers auf. Die Liebe zu dieser Stadt, die Faszination, die von ihr ausgeht, ist Gegenstand vieler Bilder.
In den jüngsten Arbeiten aber wird auch deren Verletzlichkeit spürbar, etwa in jener Arbeit, der ein Foto zu Grunde liegt, das der Künstler am 11. September 2001 auf dem Weg zur Südspitze Manhattans machte, der riesigen Staubwolke entgegen.
Ob New York, Shanghai oder Varanasi, die Metropolen dieser Erde sind für Thitz Schauplatz seiner Visionen von einer Welt, in der die Menschen aller Kulturen und Weltanschauungen auf engstem Raum friedvoll und gemeinsam leben.
Diese Idee liegt allen Arbeiten von Thitz zu Grunde. Gerade nach dem 11. September gewinnt diese Vision in den neuen New York Bildern des Künstlers eine aktuelle und eindringliche Qualität.
Die Fotografie wird hierbei ein immer wichtigeres Medium. Thitz macht sie zur Grundlage seiner Collagen und Übermalungen. Die auf große Formate vergrößerten Fotos bilden, ebenso wie die vielen Tüten, Inspiration für den Künstler und werden zum Dialogpartner. Realität und künstlerische Inspiration begegnen sich bei diesem Prozess.
Aber es geht ihm nicht um ein oberflächliches, topographisches Interesse. Die Wolkenkratzer und Häuser sind bewohnt. Aus ihren Fenstern blicken Menschen und für ein umfassendes Verständnis dieser Welt bleibt der Blick in das Detail zwingend.
So farbenfroh und vielfältig diese Menschen auch sind, allen gemeinsam sind diese unglaublich suggestiven Augen. Durch sie blicken wir in das Seelenleben der Welt und ihrer Bewohner. So „traumhaft“ sie die Städte auch beleben, so verletzlich ist deren Realität. Einige erscheinen uns glücklich, sie blicken ihr Gegenüber an, haben es gefunden und die Vitalität und Lebensfreude dringt aus allen Poren ihres Körpers. Andere dagegen blicken uns mit diesen Augen an, der Kopf leicht geneigt und es sind die Augen, die einen nicht mehr los lassen. Sie verfolgen uns und scheinen uns immer wieder die Frage nach den Schattenseiten dieser vitalen und globalisierten Welt zu stellen.
Kommunikation, daran besteht angesichts dieser Weltbilder kein Zweifel, ist ein Schlüssel für jeden, der in dieser Welt bestehen will. Viele der Thitzschen Menschen lehnen sich deshalb weit hinaus aus ihren Fenstern und scheinen dabei fast das Übergewicht zu verlieren. Aber längst nicht alle sind in der Lage aus eigener Kraft aus ihrem engen Haus am Times Square oder aus den historischen Häusern in Varanasi heraus zu kommen. Nicht allen gelingt die Teilhabe an der bunten Welt.
Das große bunte Ganze hat seine Schattenseiten. Und so zerplatzt nicht selten die traumhafte Vision dieser Stadtlandschaften, und hinter der scheinbar so realen Wirklichkeit verbirgt sich ein Luftschloss und in der regen Betriebsamkeit unserer Städte verbirgt sich nicht selten eine große Leere. Die Welt, in die Thitz mit seinen Bildern hineinblickt, bleibt eine Welt der Widersprüche und Brüche.
Bei all dem, was wir in diesen Bildern erblicken, bleibt die Freude und hoffnungsvolle Grundhaltung, die in jeder Thitz Arbeit steckt. Die Erschaffung der Thitzwelt ist ein künstlerisches Signal an unsere Gesellschaft, den Glauben an eine bessere gemeinsame Zukunft nicht aufzugeben. Der Künstler erblickt diese Hoffnung und setzt sie in eine facettenreiche und farbenfrohe Bildsprache um. Es bleibt beim Betrachter und bei all jenen, die in der Lage sind, diese Welt zu betreten, diese Hoffnung aufzunehmen, wohl wissend, dass es eine Welt mit doppeltem Boden bleibt.
Mit viel Ironie und malerischem Witz konfrontiert uns Thitz mit seiner kritisch-intellektuellen Sicht auf die eigene europäische Kultur und Tradition. Von hier aus reflektiert er die Welt. Die vielen Reisen des Malers spiegeln sich in immer neuen Städtebildern und die zwei Schuhe, one red - one yellow, sind nicht nur sein weit hin leuchtendes Erkennungssignal, sie stehen auch für das unablässige Unterwegssein des Künstlers. Und wie Hermes in seinen geflügelten Schuhen überbringt er uns gute und schlechte Nachrichten.
In den neueren Bildern tritt die Tüte, das Markenzeichen des Künstlers, immer stärker in der Hintergrund. Zwar bleibt sie ein Bestandteil des collagierten Ganzen, erkennbar manchmal nur noch am heraustretenden Henkel, ihre prägende Kraft aber erhalten diese Arbeiten von der Fotografie sowie der großflächigen Übermalung. Mit ihr gelingt es, die Realität noch unmittelbarer zum Bildgeschehen und Bildausgangspunkt zu machen.
Es entspricht dem konsequenten Denken des Künstlers, sich nicht nur im Medium der Malerei auszudrücken. Lässt man sich einmal auf den Künstler ein, umgibt uns diese Welt völlig, und wir sind Teil eines konzeptionellen Gesamtentwurfs zu der eine konsequente Ikonographie ebenso gehört. Der Künstler ist dabei seinen eigenen Kosmos zu erschaffen. Es entstehen, neben den genannten Bildern und Papierarbeiten vielerlei Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens.
Es ist der Blick auf das Detail, der hier perfektioniert wird und der den Künstler auszeichnet. Thitz' Eingreifen in unsere Alltagswelt muss als Gesamtkonzept verstanden werden. Kein Gegenstand ist ihm dabei zu banal oder zu unscheinbar und nichts entgeht seinem kreativen Schaffensdrang. Er gestaltet Tische, Lampen oder auch schon einmal den typischen, mehrstöckigen Blumentisch der 50er Jahre. Er dreht seine eigenen Filme, die in einem eigens umgebauten "halbautomatischen“ Tisch mit versenkbarem Monitor abgespielt werden, oder es entstehen die großen Tütenhäuser, die begehbar sind, und damit eine äußere Hülle für Thitz' eigene Welt darstellen.
Nur inmitten des gesamten Thitz-Kosmos begreift man den umfassenden Anspruch des Künstlers. Bei all dem ist die Welt von Thitz eine bunte, farbenfrohe und fröhliche Welt. Sie zu betreten macht Freude und macht frei für einen neuen Blick, nicht zuletzt auf die Zwischentöne und Randbereiche unserer Wirklichkeit. Er geht über die subjektive Erfahrung hinaus und schafft Chiffren von unserer Wirklichkeit.
Damit greift Thitz endgültig ein in unser Leben, nimmt von uns und unserer Wahrnehmung Besitz und schenkt uns einen ganz neuen, vitalen und sensiblen Blick auf unsere Realität.
Stephan Mann
Leiter Museum Goch