08.02.2011 - 20.03.2011
"Die Fotografie hat viele Gesichter. Für mich ist sie das ideale
Medium der Dokumentation ... doch ich bin kein Reporter.
Mich interessiert mehr, was ich mit dem vorhandenen Licht
anfangen kann, um zu meinen Bildern zu kommen. Immer
wieder verwende ich viel Intention darauf, die Menschen und
die kleinen und großen Dinge ringsherum mit den Mitteln
der Fotografie in eine bildhafte Form zu bringen."
Toni Schneiders
Toni Schneiders hat über vier Jahrzehnte lang auf ganz unspektakuläre Weise wirklich außergewöhnliche Fotografien gemacht und entscheidend dazu beigetragen, die Fotografie in Deutschland nach 1945 zu erneuern und zu erweitern. Er ist bekannt geworden als Gründungsmitglied der legendären Avantgardegruppe fotoform (seit 1949) und gehört zu den wichtigsten Persönlichkeiten der Nachkriegsfotografie.
Toni Schneiders arbeitete in der Tradition des "Neuen Sehens" der 1920er- und 1930er-Jahre. Er verstand sich selbst nicht nur als "subjektiver" Fotograf im Spannungsfeld von Form und Gegenstand, sondern ebenso als Beobachter, als Entdecker des Realen, als Porträtist, als Reise-, Industrie- und Landschaftsfotograf. Für ihn verkörperten fotoform und die "subjektive Fotografie" mehr eine Haltung als einen Stil. Die Form war für ihn Mittel zu einer ausdrucksvolleren Aussage. Er ist immer ein "Augenmensch", dicht an der Wirklichkeit geblieben. Ihn interessierte sein reales Gegenüber, an ihm wollte er das gestalterische Potential ausloten, um virtuos mit Licht und Schatten spielen zu können. Er teilte mit den Kollegen von fotoform die subjektive Auswahl des Motivs, dessen Fokussierung und die Reduktion auf wesentliche Strukturen, dessen räumliche, zeitliche, plastische Isolierung und die Integration in Komposition und Textur der Bildfläche. Aber er erzeugte seine Motive nicht selbst, wie beispielsweise Otto Steinert bei seinen Drahtfiguren-Fotogrammen. Er experimentierte nicht mit abstrakten Formen und innovativen Techniken. Toni Schneiders ging in der Bildfindung und Bildgestaltung immer von ganz konkreten, realen Gegenständen aus, am liebsten von Motiven, die er, wie er selbst ganz einfach formulierte, "draußen", im Leben und in der Natur fand. Er vertraute auf die Kraft des Sichtbaren. Motiv und fotografische Idee wurden erst bildwürdig, wenn sie in ihrer grundlegenden Form entdeckt und in ihren möglichen Lichtpotentialen wahrgenommen waren, "...denn jedes Foto ist ein Ausschnitt und ein Teil der Wahrheit."
Toni Schneiders wurde 1920 in Urbar bei Koblenz geboren. Eigentlich wollte er Kunstmaler werden, entschied sich aber nach kurzer Probezeit bei einem Dekorationsmaler für eine solide Fotografenlehre, die er 1938 erfolgreich abschloss. Während der Kriegsjahre fotografierte er als Frontberichterstatter bei den Fallschirmjägern. Seine Aufnahmen, beispielsweise von der spektakulären Befreiung Mussolinis auf dem Bergmassiv des Gran Sasso, werden heute im Bundesarchiv in Koblenz aufbewahrt.
1945 flüchtete er aus russischer Kriegsgefangenschaft, geistesgegenwärtig mit einer alten Leica samt Zubehör, einer ehemaligen Dienstkamera der Luftwaffe, die ihm seinen Neuanfang als freier Fotograf wesentlich erleichterte.
Er zog an den Bodensee, gründete ein Fotostudio in Meersburg, später in Lindau, etablierte sich als Werbefotograf, Bildjournalist und aufgeweckter Allrounder. Mit den befreundeten Fotografen Peter Keetman, Siegfried Lauterwasser, Wolfgang Reisewitz, Ludwig Windstoßer und Otto Steinert gründete er 1949 die Gruppe fotoform, zu der später noch sein Freund Heinz Hajek-Halke hinzustieß, der ebenfalls am Bodensee wohnte und Schneiders' Dunkelkammer mitbenutzen durfte.
Der Anspruch von fotoform war sehr hoch. Die Fotos aller Gruppenmitglieder unterlagen einer strengen internen Kritik.
Die Wirkung und der Einfluss von fotoform, die Ausstellungen und Aktivitäten der Gruppe waren in den 50er-Jahren aufsehenerregend, prägend und vorbildhaft, im In- genauso wie im Ausland.
Mit den Jahren wurde auch Toni Schneiders fotografisches Wirkungsfeld immer größer. Wegen seiner Aufträge, Publikationen und Ausstellungen pendelte er zwischen seiner bodenständigen Arbeit im süddeutschen Raum und den damaligen Zentren der deutschen Nachkriegsfotografie hin und her. Durch vielerlei Anregungen und Einflüsse, aber auch dank harter Erfahrungen und leidenschaftlicher Diskussionen mit Kollegen und Freunden konnte er ein beeindruckend konzentriertes Oeuvre an freien Arbeiten entwickeln. Er fotografierte für Bildbände, Stadt- und Landschaftsmonografien, für Industriereportagen, Architekturbücher und immer wieder für seine freie Arbeit - in Deutschland, Europa und anderen Kontinenten dieser Welt.
Er erhielt große Anerkennung und Auszeichnungen für seine Arbeit. Zusammen mit Siegfried Lauterwasser und Wolfgang Reisewitz wurde ihm 1999 der Kulturpreis der DGPH, der Deutschen Gesellschaft für Photographie, verliehen.
Toni Schneiders starb 2006, mit 86 Jahren, in seinem Haus in Lindau.