Ganz im Sinne eines Flaneurs, der sich treiben lässt, um zu beobachten und zu reflektieren, bewegt sich Florian Graf durch die Welt. Vor allem architektonischen und sozialen Situationen und deren gegenseitiger Wechselwirkung gilt seine Aufmerksamkeit. Insbesondere wie wir uns im Leben einrichten und welche Wirkung Räume auf uns haben, interessiert den Kosmopolit mit Appenzeller Wurzeln. Grafs Auseinandersetzung mit den emotionalen, intellektuellen und psychologischen Aspekten von Raum findet in verschiedenen Medien statt, die von Zeichnungen, Skulpturen und Filmen bis zu Interventionen, Installationen und Aktionen im öffentlichen Raum reichen.
In seiner spezifisch für die Räumlichkeiten der Kunst Halle Sankt Gallen komponierten Ausstellung «Chamber Music» untersucht Florian Graf die Triade von öffentlichem Raum, privatem Raum und Natur-Raum. Jeweils ein Bereich nimmt einen der drei Ausstellungssäle ein. Das poetische Bild, das Graf erzeugt, regt zum Nachdenken an, wie sich der öffentliche Raum wandelt, wie sich die Wünsche für den privaten oder intimen Raum ändern, und wie das Verhältnis zur Landschaft oder zur “Natur” zu einer neuen Herausforderung geworden ist. Ausgangspunkt für diese Überlegungen ist die Beobachtung, dass die Lebensformen unserer globalen Gesellschaft zwischen alten, immer noch prägenden Gesellschaftsmodellen und der Ahnung einer prekären Zukunft pendeln, die nicht mit klaren Visionen oder Utopien verbunden ist. In diesem Kontext wird das Wohnen, das “sich-in-der-Welt-einrichten” und damit der Raum selbst zur Frage.
Graf reflektiert das Wesen und die Wirkung von öffentlichem, privatem und Natur-Raum mithilfe dreier Formen, die in allen Ausstellungsräumen in verschiedenen Materialien und Dimensionen auftauchen und jeweils unterschiedliche Rollen einnehmen. Im ersten, dem öffentlichen Raum, können die drei Formen am ehesten als architektonische Elemente bezeichnet werden: Sie sind Säule, Durchgangsportal, Gebäude und Skulptur zugleich und evozieren das Gefühl, sich in der Stadt zu bewegen. Im zweiten Raum, dem privaten (Wohn-) Raum, sind die drei Formen rein dekorative Elemente: Als Keramikvasen verschönern sie den Raum und tragen zu seiner Wohnlichkeit bei. Im letzten Saal, der vom Menschen beeinflussten Natur oder künstlichen Landschaft, tauchen die Formen wieder als Skulpturen mit einem Sockelensemble auf, in Form eines Brunnens, an ein Grabmal erinnernd oder als Blumentrog.
Transformation – ein wiederkehrendes Thema in Florian Grafs künstlerischem Schaffen – ist in der St. Galler Ausstellung Teil seiner Reflexion über das Wesen und die Wirkung von Räumen und verweist insbesondere auf die wechselnden Rollen, die wir als BenutzerInnen des öffentlichen, privaten oder des Natur-Raums einnehmen. Mit architektonischen Interventionen, Display-Varianten und Materialübersetzungen fordert er kritisch und doch humorvoll zum Dialog mit prägenden Lebens- und Gesellschaftsmodellen auf.
Florian Graf (*1980 in Basel/CH) studierte am School of the Art Institute of Chicago (Fulbright Fellow), am Edinburgh College of Art (MFA with Distinction), an der Royal Drawing School, London (Postgraduate Programme), dem Watermill Center, International Summer Arts Program, New York, sowie an der ETH Zürich (M. Sc. Architecture ETH, Diplom mit Auszeichnung). Heute lebt und arbeitet er in Basel. Einzelausstellungen (Auswahl): Krasnoyarsk Museum Center, Krasnojarsk (2014); Wettsteinplatz Basel während Art Basel (2013); Zeppelin Museum Friedrichshafen (2012); Curtat Tunnel, Lausanne; Abbatiale de Bellelay (2011). Gruppenausstellungen (Auswahl): Ausstellungsraum Klingental, Basel; Bex & Arts, Triennale de Sculpture, Bex; Kunst Raum Riehen; Bâtiment d'Art Contemporain (BAC), Genf (2014); Kunsthalle Vogelmann, Städtisches Museum Heilbronn; Réunion, Zürich; Kunstmuseum Olten (2013); Moscow Museum of Modern Art (2010); Edinburgh Art Festival (2009).