19.12.2010 - 10.04.2011
Die Metropole Berlin zieht spätestens seit dem Fall der Mauer immer mehr künstlerische Kräfte an. Zahlreiche Künstler, aber auch Galerien konzentrieren sich in den vergangenen Jahren in Berlin, und auch die Museumsszene profitiert enorm von dem Aufschwung, den die Stadt genommen hat. Es sind große Namen, die Berlin immer wieder als Ort geadelt haben. Vor allem die junge Szene trägt zu einer neuen Virulenz der Stadt bei und überwindet damit den immer noch beklagten Mangel an großen Sammlern und Mäzenen. Die Ausstellung "Berlin zeichnet!", die in der Kunsthalle Dominikanerkirche vom 19. Dezember bis 10. April präsentiert wird, nimmt diese künstlerische Kraft zum Anlass, die unterschiedlichen Positionen zu befragen und vorzustellen.
Die Ausstellung möchte ein breites Spektrum an Künstlern, aber auch an künstlerischen Stilen abdecken. Das bedeutet auch, dass dadurch eine Zeitspanne in den Blick genommen wird, die nahezu 50 Jahre umfasst und somit Arbeiten aus den 1960er (mit aktuellen Überarbeitungen) ebenso zulässt wie frisch aus den Ateliers kommende Werke, deren Verfasser in den 1970er Jahren geboren wurden. Entscheidend für die Ausstellungskonzeption war in erster Linie die Bedeutung, die eine Künstlerin oder einen Künstler in der Kunstszene Berlins gewonnen hat. Somit herrscht ein gewisser Konsens mit den ausgewählten Künstlern, Sammlern und Galeristen über die Wertigkeit des ÂŒuvres.
Der Begriff "Zeichnung" mag hier eher als Differenzierung zum malerischen Oeuvre verstanden werden. Stattdessen rückt das Arbeiten auf Papier als ureigenstes Medium, in dem sich Künstlerinnen und Künstler bis heute unmittelbar und direkt ausdrücken, in den Fokus. "Zeichnung" limitiert sich hier jedoch nicht auf den Grafit-Stift, auf Kohle oder Rötel, sondern meint im weitesten Sinne Arbeiten auf Papier. Dennoch liegt auch hier der Schwerpunkt auf einer zumindest intendierten Abgrenzung zur Malerei, die nicht einfach auf Papier übertragen oder reduziert sein soll. Das Direkte, das grafische Element, die zeichnerische Linie, die Freilassung von Fläche zugunsten der Linie - all das sind ebenso Kriterien für die Auswahl der präsentierten Exponate.
Wie keine andere Kunstrichtung hat der "kritische Realismus" in den 1970er Jahren die Berliner Kunstlandschaft geprägt, die in einer besonderen Kunsttradition stand. Dem großen Vorbild George Grosz ähnlich stellten der in der Ausstellung vertretene Wolfgang Petrick und die anderen Künstler der Gruppe "Großgörschen" mit veristischer Präzision die ungeschönte Wirklichkeit der Großstadt als Brennpunkt sozialer Auseinandersetzungen dar.
Anfang der 1980 Jahre waren es die "Jungen Wilden", die erstmals mit ihrer expressiven Verve die neue Lebensstimmung zwischen Mauer und Aufbruch thematisierten. Sie suchten eine ähnliche Freiheit wie einst die Brücke-Künstler. Künstler wie Rainer Fetting zählten zu den Begründern dieser "Heftigen Malerei", die gleichermaßen auch Anhänger in Köln ("Kölner Freiheit") und München fanden.
Klassische Themen der figürlichen Kunst, die den menschlichen Körper in seiner ganzen Fragilität formulieren, zeigen zunächst die Werke von Daniel Richter, Marc Brandenburg oder auch die wie ein seismographisches Barometer entwickelte Serie über Papst Johannes Paul II von Cornelia Schleime.
Neben den figurativen Positionen treten auch einige abstrakte Sichtweisen auf, die sich auf Raum, Farbe, Licht und Struktur beziehen. Hier sind es ebenso die suggestiven Farbarbeiten von Bernd Koberling, die tastenden Erkundungen von Raum und Zeit bei Beate Terfloth und Jorinde Voigt, die Linienvirtuosität von Hanns Schimansky, oder die streng architektonisch rhythmisierten Werke von Frank Badur, die die Bandbreite akzentuieren. Die Zeichnungen mit Altöl, farbigen Kreiden und Grafit, wie sie Jochen Stenschke formuliert, suchen ihrerseits einen Dialog zwischen emotionalem Erleben und der abstrakten Formel von Raum und Zeit.
Spätestens mit dem Fall der Mauer kommen nach und nach neue Kräfte in Berlin hinzu, die sich entsprechend in einer pluralistischen Stilvielfalt wiederfinden. Für diese neugewonnene Internationalität Berlins stehen beispielsweise Namen wie die Israelin Yehudit Sasportas, die Südkoreanerin SEO oder der Japaner Takehito Koganezawa.
Die Konzeption der Ausstellung nimmt diese unterschiedlichen Positionen in den Blick, ohne disparat zu sein. Mit ihren 22 Künstlern ermöglicht sie Einblicke in eine aufregende Kunstszene der neuen (Kunst-) Hauptstadt Deutschlands.