Vom 27. August bis zum 19. November 2017 zeigt die Kunsthalle Recklinghausen mehr als 100 Werke der aus Recklinghausen stammenden Künstlerin Rosemarie Inge Koczÿ. Im Zentrum der Ausstellung stehen Tuschzeichnungen aus dem Zyklus „Ich webe Euch ein Leichentuch“, mit dem die Künstlerin an die Opfer der Shoah erinnert; darüber hinaus Gemälde und Skulpturen, die allesamt als großzügige Schenkung aus dem Vermächtnis der Künstlerin in die Sammlung der Kunsthalle Recklinghausen gelangten.
Rosemarie Koczÿ wird am 5. März 1939 in Recklinghausen geboren. Wie sie selbst in ihrer Biographie schreibt, wird sie 1942 deportiert und überlebt durch die Hilfe von Mitgefangenen. Die Nachkriegszeit verbringt sie in Recklinghausen, wächst aber schließlich in einem katholischen Waisenhaus nahe Münster auf, da ihre durch den Krieg traumatisierte Mutter mit der Erziehung des Kindes überfordert ist.
1959 geht sie in die Schweiz und bewirbt sich zwei Jahre später erfolgreich an der École des Arts Décorafis in Genf. Nach Abschluss ihres Studiums entwirft sie vor allem Tapisserien und es entstehen mehr als siebzig, teilweise großformatige Wandbehänge, zunächst klassisch flach gewebt, später materialhaft aufgeworfen und plastisch gestaltet. 1972 lernt sie Peggy Guggenheim kennen, die eine Tapisserie für ihren Venezianischen Palazzo Venier dei Leoni, die heutige Peggy Guggenheim Collection, in Auftrag gibt, sie vor allem aber mit ihrem späteren Mentor Thomas Messer, dem Direktor des Solomon R. Guggenheim Museums in New York, bekannt macht. Beide ermutigen Rosemarie Koczÿ, nach New York zu ziehen, um im damaligen „Hotspot“ der Kunstszene ihre Arbeit weiterzuentwickeln.
Mitte der 1970er Jahre rückt schließlich der jüdische Holocaust ins Zentrum ihres künstlerischen Schaffens. Bis zu ihrem Tod entstehen mehr als 12.000 Tuschzeichnungen, mit denen die Künstlerin der Opfer der Shoah gedenkt und die sie rückseitig stets mit demselben Text versieht: „Ich webe Euch ein Leichentuch.“ So zollt sie den Toten Respekt: „Das Leichentuch ist das Strichgewebe, das jede meiner Gestalten umgibt, um sie in Würde zu beerdigen.“ Der gestischen Intensität vieler Zeichnungen stehen Blätter von einer geradezu immateriellen Flüchtigkeit und Transparenz der Linie gegenüber: Ein „seidener Faden“, an dem das Leben hängt und doch stark genug, Hoffnung zu geben.
1984 heiratet sie in zweiter Ehe den amerikanischen Komponisten Louis Pelosi, den sie als Stipendiatin der MacDowell Künstlerkolonie kennenlernt und zieht mit ihm im selben Jahr nach Croton-on-Hudson nahe New York. Hier laden beide regelmäßig zu Kunst- und Musikveranstaltungen ein, fördern vor allem aber junge Künstlerinnen und Künstler. Als Rosemarie Koczÿ im Dezember 2007 stirbt, hinterlässt sie ein ebenso umfangreiches wie eindringliches Œuvre, das überzeugend die Möglichkeiten der bildenden Kunst im „Angesicht der Shoah“ begreifen lässt.
Koczÿs Werke wurden in zahlreichen Ausstellungen in Deutschland, der Schweiz, den USA, Japan und Israel gezeigt. Sie sind u. a. in der Sammlung des Solomon R. Guggenheim Museums, New York vertreten, in der Peggy Guggenheim Collection, Venedig oder in der Collection de l’Art Brut, Lausanne. Aber auch die Gedenkstätten Buchenwald und Yad Vashem, Jerusalem besitzen Arbeiten der Künstlerin.
Die Kunsthalle Recklinghausen versteht die großzügige Schenkung aus dem Nachlass der Künstlerin auch als Aufgabe, die noch ungeklärten Fakten der Recklinghäuser Jahre von Rosemarie Koczÿ aufzuarbeiten.