In der Kunst des 20. Jahrhunderts haben Abstraktion und Konzeptualismus das Erzählerische radikal abgelehnt. Die narrative Qualität von Kunst stand lange unter dem Verdacht des bloßen Scheins und „falschen Bewusstseins“ und rückte erst spät, etwa mit den Bildwelten der „Neuen Wilden“ oder der „Neuen Leipziger Schule“, wieder in den Blickpunkt. In Island prägt die Erzählkunst traditionell Alltagsleben und Kultur; Mythen und Sagen durchziehen sie wie selbstverständlich. Von den frühmittelalterlichen Isländersagas, mit denen sich das Land in das literarische Weltkulturerbe einschrieb, bis zu den Romanen des Nobelpreisträgers Halldór Laxness hat Island bedeutende Werke der Weltliteratur hervorgebracht. Den 320.000 Einwohnern der Insel im Nordatlantik bieten die isländischen Verlage jedes Jahr rund 1.500 neue Titel bei einer durchschnittlichen Auflage von 1.000 Exemplaren je Veröffentlichung. So verwundert es nicht, dass Reykjavík 2011 wegen seiner reichen literarischen Tradition als fünfte Stadt in die Liste der UNESCO-Literaturstädte aufgenommen wurde.
Die Bildkunst entwickelte sich in Island erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Sigurður Guðmundsson (1833–1874), genannt der Maler, war bezeichnenderweise auch der erste Bühnenbildner Islands und so dem literarischen Schaffen eng verbunden. Das Leitmedium Literatur hat seitdem einen gleichbleibend großen Einfluss auf die bildende Kunst des Landes ausgeübt. Davon zeugen auch die Werke von Jóhannes Sveinsson Kjarval (1885 - 1972), dem bedeutendsten isländischen Maler der Moderne oder die Arbeiten des international erfolgreichen Erró (* 1934), der Surrealismus und Pop Art ebenso rezipiert wie Comic und Science-Fiction. Sie bilden den Auftakt der Ausstellung, die anschließend zehn zeitgenössische Positionen vorstellt, darunter Sigurður Guðmundsson (*1942), Helgi Þorgils Friðjónsson (*1953), Steingrimur Eyfjörd (*1954) und Björk (*1965). Fotoarbeiten von Ólafur Elíasson (*1967) stehen am Ende des Ausstellungsrundgangs.