Die Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin schickt rund 200 ihrer berühmtesten Werke jener dramatischen Epoche der Jahre 1900 bis 1945 auf die Reise in die Kunsthalle Würth. Schwäbisch Hall bekommt damit eine Ausstellung der Superlative, denn die Sammlung der Nationalgalerie gilt international als eines der bedeutends ten Schatzhäuser der Klassischen Moderne. Bereits 1919, sofort nach Ende des Hohenzollernreiches, war eine Dependance der Nationalgalerie für die Moderne, als ein Museum der Gegenwartskunst, eingerichtet worden, es entstand hier die weltweit erste öffentliche Sammlung zur zeitgenössischen modernen Kunst des 20. Jahrhunderts. Bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten vereinte sie die unterschiedlichen, vielfach miteinander konkurrierenden Zielsetzungen in ihren pointiertesten Formulierungen. Denn bereits die Jahre vor 1914, in unserer Vorstellung oftmals als Belle Époque verklärt, waren von grundlegenden Erschütterungen geprägt: Psychoanalyse, Industrialisierung, Technik und Wissenschaft führten zu einer subtilen Verunsicherung, die oftmals in eine aggressive Zurschaustellung von Männlichkeit, Militarismus, Imperialismus und Kolonialismus umschlug oder Auswege in alternativen Entwürfen im Kontext von Reformpädagogik, Freikörperkultur und Ausdruckstanz suchte. Schon bald stand neben einer mit Pathos, Ekstase, Dynamik und Erotik expressiv idealisierten Natur die Darstellung der Selbst- und Naturentfremdung des Großstädters, der gegen die kulturelle und gesellschaftliche Sackgasse des noch wilhelminischen Deutschlands anrannte. Zwischen Endzeit- und Aufbruchstimmung, das bevorstehende Unheil teils ahnend, teils aber auch euphorisch einen Umschwung herbeisehnend, wurde der Ausbruch des Ersten Weltkriegs daher auch von vielen jungen Künstlern begrüßt. Im Taumel der ersten Kriegseuphorie zogen sie 1914 freiwillig in die Schlacht. Viele sollten nicht zurückkehren. Andere, wie Max Beckmann, Wilhelm Lehmbruck oder Otto Dix, verarbeiteten schon während des Krieges tief erschüttert ihre aufwühlenden Erfahrungen in außergewöhnlichen Bildern. Zu Kriegsende folgte die große Ernüchterung. Die gängige Nachkriegskultur als »Veronal für das Gewissen« geißelnd, das Tagesgeschehen mit Witz und Ironie, Satire und Sozialkritik kommentierend und die künstlerischen Ausdrucks- und Aktionsformen um Collage und Karikatur erweiternd, traten die Dadaisten auf den Plan. Surrealisten forderten einen »esprit nouveau« als Inbegriff der von allem Alten sich befreienden Kultur. Die meisten anderen versuchten der neuen Zeit mit jenem distanzierten Blick und ultraglatten Oberflächen in der künstlerischen Umsetzung beizukommen, für die bald der Oberbegriff der Neuen Sachlichkeit gefunden war. Doch es gab auch helle Gegenentwürfe zum ernüchterten Deutschland. Die Kunst ins praktische Leben zurückzuführen und ihr ein solides technisches Fundament zu geben war eine andere Form der Sachlichkeit. Das Bauhaus mit seiner Lust an der Utopie und einer Ästhetik, die unsere Vorstellung von Moderne noch heute prägt, hatte alle Bereiche des Lebens im Blick und bestand, bis die große Apokalypse des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs die Nacht über Deutschland brachte. Auch wenn die Nationalsozialisten unwiederbringliche Lücken in die Bestände der Nationalgalerie gerissen haben, verfügt doch keine deutsche Sammlung über eine solche Fülle und eine solche Differenziertheit hochkarätiger Kunst zur Klassischen Moderne wie dieses Haus. Es entfaltet eine Polyphonie spannender Beziehungen, Geistesströmungen, Querverbindungen und verdeckter Bezugnahmen vom Expressionismus und Dadaismus über die Neue Sachlichkeit und den Bauhaus-Stil bis hin zu Kubismus und Surrealismus. Denn die künstlerischen Grenzüberschreitungen hatten Deutschland bereits im frühen 20. Jahrhundert zum Transitland unterschiedlichster Strömungen auch internationaler Kunst werden lassen. Sie alle finden ihr Echo in dieser einzigartigen Kollektion. Die Meisterwerke von Corinth, Munch, Hodler, Lehmbruck, Kokoschka, Kirchner, Pechstein, Nolde, Grosz, Dix, Schad, Querner, Beckmann, Klee, Kandinsky, Moholy-Nagy, Feininger, Gris, Dalí, Ernst, Picasso, Magritte, Léger, Belling, Baumeister, Nay und vielen anderen bilden einen Bildatlas, in dem sich die Geschichte der Stadt und des Landes spiegelt, in der die Sammlung entstand. »Moderne Zeiten« beruht auf der sehr erfolgreichen Sammlungspräsentation der Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin (2010/11), die die Geschichte der Kunst in Deutschland in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts auf neue Weise erzählte. Darüber hinaus gibt die für die Kunsthalle Würth adaptierte Ausstellung mit Werken von Lotte Laserstein, Wilhelm Lachnit oder Horst Strempel Gelegenheit zum Wiederentdecken und Kennenlernen dieser Epoche. Wie die ineinandergreifenden Zahnräder in Charlie Chaplins berühmtem Film Modern Times, auf den sich der Ausstellungstitel bezieht, werden so Künstler-, Themen-, Zeitgeschichte und Zeiträume zueinander in Bezug gesetzt und bringen unsere festgefahrenen Vorstellungen von Moderne in Bewegung. Neben höchstem ästhetischem Genuss bietet die Ausstellung auch Gelegenheit zur anregenden Reflexion über Geschichte, Kunst und Politik.