01.04.2012 - 15.07.2012
Das Werk Jakob Bräckles hinterließ und hinterlässt bei den meisten Menschen, die für Bilder ansprechbar sind, und zwar einfachen Betrachtern wie auch den sogenannten Experten und Künstlerkollegen, einen großen, ja unvergesslichen Eindruck. Jakob Bräckle, in Winterreute bei Biberach am 10. Dezember 1897 geboren, in Biberach am 29. Oktober 1987 gestorben, ist einer der bedeutenden, in seinem lebenslangen, kontinuierlichen Schaffen stets gegenständlich gebliebenen Maler Süddeutschlands im zwanzigsten Jahrhundert.
Von 1917 bis 1923 studierte der Bauernsohn, der für den Beruf des Bauern wegen einer durch eine missglückte Impfung in Kindheitstagen bedingten Einschränkung nicht mehr in Frage kam, an der Kunstakademie in Stuttgart. Anschließend kehrte Bräckle für den Rest seines Lebens nach Winterreute und in das nahegelegene Biberach zurück. Hier hat er zeitlebens gemalt, in einem Radius von drei Kilometern, tagsüber, manchmal auch nachts, sommers wie winters, lange genug als sogenannter Freilichtmaler. Sein umfangreiches künstlerisches OEuvre von vieltausend Bildern, fast alle in Öl und auf von ihm bevorzugten kleineren Formaten, das über einem Zeitraum von annähernd siebzig Jahren im Wesentlichen auf ein Thema – die Vergegenwärtigung von „Winterreute“ – , beschränkt ist, steht einzigartig da. Dieses Werk ist auch der Weg eines großen Einzelgängers. Es sind fast ausschließlich Außenansichten, Höfe und Felder, die er uns zeigt. Und Menschen bei der Arbeit. Das ins Bild Gebrachte wird – spätestens von 1958 an auch numerisch – immer weniger, dafür im Format größer und in der Aussage konkreter und deutlicher.
Es ist die Zeit der größten Zäsur in der Geschichte für den Lebensbereich, dem er entstammte: Von Mitte der Sechziger Jahre an sind die Felder flurbereinigt, kanalisiert auf eine bloße Ertragsmaximierung hin. Die Wiesenraine und sonstigen Lebensräume der freilebenden Feldtiere, Feldmäuse, Hasen und Vögel sind wegrationalisiert, die Menschen durch die Maschinen ersetzt und überflüssig geworden. Der Mensch verschwindet zuletzt – seit 1964 – für immer, wenn er auch weiterhin die Seele des Ganzen sein mag. Man mag das „auf dem Weg in die Abstraktion“ nennen. Doch damit entspricht die Werkgeschichte Bräckles vor allem auch recht genau der Sozialund Kulturgeschichte weiter Teile unserer Welt im zwanzigsten Jahrhundert: dem Untergang der ländlichen Welt auch in Oberschwaben, wie sie seit tausend Jahren, vielleicht auch seit Adam und Eva, Bestand hatte.
Wie es war, und wie es geworden ist, zeigt uns dieser Maler. Bräckles Werk hat so – wie nebenbei – auch noch einen dokumentarischen Rang, indem darin die im zwanzigsten Jahrhundert in der Globalisationskelter verschwundene ländliche Welt für immer aufgehoben ist. Die Winterreuter, Biberacher, Oberschwaben dürfen sich durchaus glücklich schätzen, dass Bräckles Werk das alles vergegenwärtigt. Doch nicht nur sie, denn, es ist nicht nur Oberschwaben, sondern die Welt anhand des Beispiels Winterreute, die Bräckle ein Leben lang gemalt hat. Bräckle zeigt als Künstler, wie sehr sich das Gesicht und Bild seiner Welt, die ja auch unsere Welt ist, in der Zeit seines Lebens gewandelt hat. Diese Geschichte erzählen Bräckles Bilder auch: und zwar von Anfang bis Ende, und zwar auf eine Weise, wie sie nur ein großer Künstler vermag. Jakob Bräckle ist kein Provinzmaler, sondern ein Weltmaler.
Die Ausstellung zeigt den ganzen Bräckle. Und zwar als Weg – als ein Weg. Das früheste Bild dieser Ausstellung, das „Rote Backhaus“, datiert von 1924; das späteste hier gezeigte ist auch sein letztes: das „Rote Haus“ aus dem Jahr 1986.