Die „Baraque de Chantier“ von Olaf Nicolai ist ein im Massstab 1:1 ausgeführter Nachbau einer Holzbaracke, die der Architekt Le Corbusier 1954 am Cap Martin in Südfrankreich errichten liess. Die bescheidene, nur etwa acht Quadratmeter grosse Hütte diente dem Architekten als Studio während seiner Ferienaufenthalte, die er in einem kleinen, von ihm entworfenen Wohnhaus, seinem „Cabanon“, verbrachte. Olaf Nicolai hat von der aus Holz gebauten Arbeitszelle des Architekten eine originalgetreue Kopie in transparentem Acrylglas produzieren lassen. Sie ist benutzbar und verweist innerhalb der Mauern der Kartause Ittingen auf das Ideal der Konzentration und der Kontemplation als Basis jeder kreativen Tätigkeit.
Der Begriff „Zelle“ ist zentral für die architektonischen und städtebaulichen Konzepte Le Corbusiers. Immer wieder ging der Architekt mit Schweizer Wurzeln bei seinen Überlegungen vom Individuum aus und von dessen rational begründbaren Bedürfnissen. Daraus entwickelte er den Modulor, ein Set idealer Massverhältnisse, das er zur Lösung aller architektonischen Probleme vom Wohnhaus bis zur Stadtgestaltung einsetze.
Le Corbusier war lebenslang von Klöstern und der monastischen Lebensweise fasziniert. Für den Dominikanerorden baute er zwischen 1953 und 1960 das Kloster „La Tourette“ bei Lyon. Bei der Konzeption der „Unité d'habitation“, einem Gebäudekomplex mit hunderten von Wohnungen, schuf er nach dem Muster der Kartause eine Kombination von Gemeinschaftseinrichtungen und privaten Wohnungen.
Mit dem Nachbau der abgelegenen und kaum bekannten „Arbeitszelle“ eines der wichtigsten Architekten der Moderne evoziert Olaf Nicolai zweierlei: Zum einen lenkt er die Aufmerksamkeit auf einen der visionärsten Gestalter der modernen Bewegung. Die Moderne hat das Leben der Menschen, die Vorstellungen von Privatheit und Zusammenleben aber auch von Arbeit und Freizeit umfassend verändert. Mit seinen visionären Ideen leistete Le Corbusier einen wesentlichen Beitrag zu dieser Neugestaltung der Lebensform. Zum andern weist Nicolai mit dem Nachbau der bescheidenen Arbeitszelle darauf hin, dass innovatives Denken, Kreativität und Gestaltung nicht in Luxus gründen, sondern in Ordnung, Konzentration und Disziplin.
Die Aufstellung der „Baraque de Chantier“ in der Kartause Ittingen erzeugt eine spannungsvolle Konfrontation: die nachgebaute Arbeitszelle eines Visionärs der Moderne kommt in die direkte Nähe zu den Mönchszellen der Kartäuser zu stehen. Die Rationalität der Moderne trifft auf die Spiritualität des Mittelalters. Neben den unbestreitbaren Differenzen zwischen diesen unterschiedlichen Lebensauffassungen zeigen sich plötzlich auch erstaunliche Verbindungen.
Der Nachbau als gläserne Zelle weckt unterschiedliche Assoziationen: Die Auflösung des Materiellen in eine visuell sich ständig entziehende Durchsichtigkeit ist ebenso Thema wie der Verlust von Privatheit durch diese Auflösung.