26.04.2008 - 21.09.2008
Aus Anlass des 70. Geburtstages der Stadt Wolfsburg zeigt das Kunstmuseum Wolfsburg nun eine umfassende Werkschau des Fotografen Heinrich Heidersberger, der im Jahr 2006 kurz nach Vollendung seines 100. Lebensjahres in Wolfsburg starb. Etwa 170 Fotografien aus den unterschiedlichen Werkphasen Heidersbergers stellen das vielfältige Schaffen des gebürtigen Ingolstädters vor.
Heinrich Heidersberger (1906-2006) zählt zu den bedeutendsten deutschen Fotografen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sein Werk steht für eine spezifische, der Ästhetik der Moderne verpflichtete Bildauffassung. So reiht sich auch diese Ausstellung in das "Suchprogramm" des Kunstmuseum Wolfsburg ein, welches eine "Suche nach der Moderne im 21. Jahrhundert" postuliert hat. Heidersbergers Fotografie eröffnet hierfür auf sehr überraschende und kreative Weise einen erweiterten Blick.
Den thematischen, explizit mit Wolfsburg verbundenen Auftakt der Ausstellung bildet eine Präsentation jener Fotografien, die Heidersberger 1963 anlässlich des 25. Geburtstages der Stadt zu einem Künstlerbuch mit dem Titel "Wolfsburg - Bilder einer jungen Stadt" zusammengefasst hatte. Der Fotograf zeichnete ein einfühlsames Porträt der prosperierenden Modellstadt Wolfsburg, ihrer ländlichen Wurzeln und industrialisierten Gegenwart. Zunächst ohne offiziellen Auftrag der Stadt, fing Heinrich Heidersberger das Leben in den Straßen, die modernen Architekturen und die idyllischen Landschaften um Wolfsburg mit seiner Kamera ein. Die Fotografien, die heute einen wichtigen Stellenwert im Lebenswerk des Künstlers einnehmen, begeisterten die damaligen Stadtväter, und Heinrich Heidersberger erhielt den Auftrag, die Gestaltung eines Buches über Wolfsburg in Angriff zu nehmen. Als Resultat erschien ein künstlerisch ambitionierter Bildband, der in seinen fotografischen Ansichten der jungen Stadt Wolfsburg bis heute identitätsstiftend wirkt.
Der zweite Teil der Ausstellung widmet sich den Architekturfotografien, der Produktfotografie, den Akten und Rhythmogrammen und zeigt Beispiele von Heidersbergers Experimenten mit Schneekristallen und elektrischen Entladungen.
In seinen bahnbrechenden Aufnahmen der Nachkriegsarchitektur der fünfziger Jahre legte Heidersberger die Ästhetik der Moderne offen und präsentiert sie als ein Spiel aus Struktur und Form. Heidersberger formulierte seinen künstlerischen Ansatz wie folgt: "Das moderne Bauwerk ist nicht mehr nur ein plastisches Kunstwerk, sondern in ihm werden mit den Mitteln der Technik eine Reihe von funktionellen, wirtschaftlichen, sozialen und städtebaulichen Voraussetzungen mit einer künstlerischen Absicht durch den Architekten zu einem ganzen geformt. Diesem Prozess nachzuspüren gehört zu den wichtigsten Aufgaben des Architekturfotografen." Heidersbergers Gespür für die Visualisierung architektonischer Konzepte und seine Auseinandersetzung mit Fläche, Volumen und Struktur der Baukörper lassen seine Bilder als Vorläufer konzeptueller Fotografie erscheinen.
Parallel dazu entwickelte er in der Werkgruppe der Rhythmogramme ("Lineaturen aus Licht") eine neue fotografische Technik, um ungegenständliche Strukturen sichtbar zu machen. Aber auch seine Produktfotografie für die Unternehmen Schott und Volkswagen ist deutlich geprägt von der Begeisterung für serielle Strukturen. Selbst in der Aktfotografie kommt Heidersberger mit experimentellen Lichtstrukturen zu außergewöhnlichen Ergebnissen, indem die Ästhetik der Aufnahmen mit der Prüderie der fünfziger Jahre spielt.
Heidersbergers "Schneesternchen" und die "Elektrischen Entladungen", oder auch "Lichtenberg-Figuren" genannt, können als Beispiele naturwissenschaftlicher Fotografie gelten. In ihnen manifestieren sich nicht nur das Interesse des Künstlers als Forscher, sondern auch Komponenten, die den Fotografen in seinen anderen Arbeitsbereichen stets fasziniert haben wie Ordnungen und Maßverhältnisse.
Auf Initiative des Instituts Heidersberger, das sich der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Lebenswerkes Heinrich Heidersbergers widmet, ist ein Reprint des Buches "Wolfsburg: Bilder einer jungen Stadt" im Nicolai Verlag, Berlin, erschienen. Dieser enthält Aufsätze von Bernd Rodrian, und Michael Kasiske sowie einen Text von Markus Brüderlin, der der Frage nach der Moderne in Heidersbergers Werk nachspürt.