17.03.2012 - 03.06.2012
Die Filme der 1966 in Boston geborenen Elodie Pong kreisen um menschliche und mitmenschliche Wahrnehmungen, um Erscheinungsweisen unserer Identität im Spannungsbogen zwischen Authentizität und Rollenspiel, Selbstbehauptung und Entfremdung. Dabei durchleuchtet Pong unser individuelles Sein, das zwischen Realität und Anspruch, zwischen den eigenen Möglichkeiten und kollektiven Normen und Idealen oszilliert. Der fragile Boden zwischenmenschlicher, intimer Kommunikation ist ihr dabei ebenso vertraut wie jene freiwilligen oder unfreiwilligen Inszenierungen im öffentlichen Raum, mit denen wir uns in eigenen oder multikulturellen Kreisen darstellen.
Elodie Pong sucht nicht nach den Schattenseiten unserer Existenz und betreibt keine expressionistische Pathosforschung, sondern sie sucht im Unverstellten, auf einem Feld, das sie durch ihr Studium der Soziologie und Anthropologie bestens kennt.
Ihr Material ist zuallererst Sprache, das Medium unserer intellektuellen und auch individuellen Selbstvergewisserung und die Basis zwischenmenschlicher Kommunikation. Die Inszenierungen der Filme verdichten diese Inhalte und schärfen die Wahrnehmung für das Exemplarische und Vieldeutige der dargestellten Situationen gleichermaßen. All das wird in den Filmen nicht als intellektuelle Exegese aufbereitet, sondern ist von einem feinsinnigen Humor und Einfallsreichtum getragen, der oftmals autobiografische Züge trägt. Hinzu kommen Zitate aus der Film-, Geistes- oder Musikgeschichte. Dieses Zitieren reicht von Sequenzen alter Hollywoodfilme über die Auftritte von Karl Marx und Marilyn Monroe bis hin zu Samplings von Klassik bis Punk.
In älteren Arbeiten sind es experimentelle Situationen, in denen Ausstellungsbesucher oder Freunde nach einer vorgegebenen Choreografie in offenen Scripts vor der Kamera agieren. Die Rollen in den neueren Filmen werden von Schauspielern ausgeführt und sind konsequenter strukturiert und inszeniert. Die Liste der Filme ist lang und reicht vom Musikvideo NO NO NO (2007), in dem eine Frau ekstatisch auf einer Slide-Gitarre spielt, bis zu Even A Stopped Clock Is Right Twice A Day (2008), einer Montage mit ausgestopften Vögeln, die die globale Wirtschaftskrise diskutieren. In dem Projekt Secrets for sale (2000–2003) verrieten Menschen vor laufender Kamera ihre Geheimnisse. Die daraus gespeiste Geheimnis-Datenbank wirkt wie der Gegenentwurf zu einer modernen, komplex verwobenen Gesellschaft.
In dem sich anschließenden Projekt ADN/ARN (any deal now/any reality now) konnte um die Geheimnisse gefeilscht werden.
Der Film After the Empire (2008) gehört zu den vielschichtigen und zugleich technisch herausragenden Arbeiten von Elodie Pong. Marilyn Monroe singt Madonnas Material Girl für Karl Marx, Robin und Batman turteln miteinander, Pinocchio zieht einige Linien Kokain von einem Spiegel und eine asiatische Frau verkündet schmachtend: „Meine Pussy ist das neue Schwarz“. Der Film pendelt zwischen Verheißung und Realität, zwischen Hohelied und existenzieller Kulturkritik und ist auch deswegen schön und traurig zugleich, weil der tragende Humor von dem Wissen lebt, dass alles, was ist, mit sardonischem Lachen zusammenkrachen wird.
Die neuesten Filme von Elodie Pong verhandeln Sprache, Worte und die Inhalte dessen, was gesprochen oder in anderer Weise in den öffentlichen Raum entlassen wird. Zusätzlich entstanden monochrome Leinwände mit Sätzen wie Learning from Las Vegas oder Love thy symptom as thyself, die wie Frageblöcke im Raum hängen, an die Arbeiten Ed Ruschas erinnern und den Besuchern viel Raum lassen.
In dem parallel entstandenen Film Ersatz (2011) unterhält sich ein Paar in verschiedenen, stockend gesprochenen Sprachen über seine Empfindungen. „Was hältst du von Ersatz?“, fragt eine Figur, „Ich bin auch ein Ersatz“, erwidert die andere und verweist so auf den elementar-existenziellen Zustand, sich selbst als ein „Ersatz“ zu fühlen. Hier und in anderen Filmen thematisiert Pong menschliche Empfindungen in multikulturellen Gesellschaften.
In ihrem neuesten Ausstellungsprojekt im Centre Dürrenmatt Neuchâtel hat sich Elodie Pong unter dem Titel MY-THOLOGY mit dem literarischen und bildnerischen Werk Friedrich Dürrenmatts, insbesondere mit seinen Mythen, auseinandergesetzt. Sie ließ sich davon inspirieren, blieb jedoch so weit distanziert, dass sie sich auf das abstrakte Bild der Macht und die durch diese generierten Vision konzentrieren konnte.