09.03.2012 - 01.04.2012
Der Comic und die Bildergeschichte haben eine Tradition, die manche bis ins alte Ägypten zurückverfolgen. Als biblia pauperum, als Fantasie-Türe, die sich in eine Welt der Super-Helfer-Helden jenseits des Realitäts-Prinzips aufstoßen lässt, hat sie ihren passendsten Platz in der Zeitung, dem Zugangs-Medium der Massen zum täglichen Welt-Ist-Zustand, auf den unsereins bis auf's Umblättern kaum einen Einfluss hat.
Hier, beim samstag-morgendlichen Lektüre-Ritual, hat das Prinzip Hoffnung sein Zuhause, hier hat das Abenteuer seine Anlege-Stelle, hier hat die Anarchie ihren Spiel-Platz, hier herrschen Narrenhände. Die Welt ist wieder dem Kinderwunsch gemäß bieg- und formbar, und die Moral von der Geschicht' fehlt ebenfalls nicht, die uns sagt, was man beim nächsten Mal besser befolgen sollte.
Das war einmal, das gibt es auch immer noch, aber Rolle, Form und Inhalte von Bildergeschichte und Comic haben sich im Laufe der letzten 60 Jahre ins Uferlose ausdifferenziert, so dass man auch von einer Renaissance der Hieroglyphe als Welt-Bericht-Erstatterin sprechen könnte.
Die Comics, die der Kunstverein Weiden ausstellt, reflektieren bzw. adaptieren mehr oder weniger Wesen und Kategorie der deutschen Zu-Hause-Kultur, die in den Märchen, Mythen und Bilderbögen der Spät-Romantik und des Biedermeier ihre Wurzeln hat und vielleicht heute noch deutsche Sehnsüchte, Wünsche und Werthaltungen bewegt. Dieser Rückzug ins Private, den Jean Paul das "Vollglück in der Beschränktheit" genannt hat, war in seinem Ursprung eine Reaktion auf die Unterdrückung der deutschen Demokratie-Bewegung im Vormärz 1815 - 1848. Diesem Zeitabschnitt hatte der Kunstverein 2003 schon die Ausstellung "Das Fahrzeug Fernweh – Drei Romantik-Beiträge zu einer ungemythlichen Oberpfalz" gewidmet. Einräumen müssen wir, dass hier mit vier Autoren und fünf gezeichnet-getexteten Helden-Welten aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gerade mal eine Meckitums-These auf wackelige Beinchen gestellt, aber nicht wirklich belegt werden kann. Wie weit es heute noch mit dem stachelköpfigen Familientier in unserer Kultur her ist, lässt die Ausstellung offen. Und diese Offenheit ist durchaus bezweckt, weil nicht unproduktiv und nicht ohne eigene gestalthafte Qualität. Sie gibt dem Betrachter Raum zur Selbsterforschung und stachelt den Kommissar, den Erik Ode, in uns an, dem Archetyp Mecki auf der Spur zu bleiben. Zum Sinnieren steht ein historisches Sofa bereit. Spannend! Spannend!
Dabei war das Zusammenfinden der Exponate, welche die weit greifende Ausstellungs-Idee beispielhaft und markant abstecken sollen, für die Kunstvereins-Leute nicht weniger spannend. Verwickelte Welt der Bildergeschichten! Besondere Vermittler-Rollen fallen dabei dem Weidener Künstler Axel T. Schmidt und Martin Jurgeit zu, dem Chefredakteur vom Comixene, dem ältesten deutschen Fachmagazin zum Thema Comics. Besten Dank.
Schmidt ist seit seiner Schulzeit mit dem Verfasser kunst- und kulturtheoretischer Bücher Thomas Hausmanninger befreundet, der vor allem beim Comic genau weiß, wovon er schreibt, und richtet im KV den Ausstellungs-Bereich ein, der den Zeichner Hausmanninger zeigt. Zeichner ist er seit der Schulzeit, zu sehen sind die "Dr. Tom"-Geschichten, die seit 2005 entstehen, deren Making-Of in Sinne einer kleinen Comic-Kunst-Schule, nebst Möglichkeiten zum Selber-Machen nach dem Motto "Anarchie ist machbar, Herr Nachbar!".
Der Ausstellungsraum verwandelt sich unter Dr. Toms freundschaftlich konzentriertem Blick, der die Kunst wieder als Wirklichkeits-Sprengstoff entdeckt, in eine Werkstatt für die Narrenhände, die auf jeden Fall mal die Tische und Stühle bemalen dürfen...
Hausmanninger (* 1958) ist Professor für Christliche Sozialethik an der Universität Augsburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Medienethik und Informationsethik ("Ethik des Digitalen"); aktuell arbeitet er an einer Buchmonographie über religionsbezogene Verschwörungs-Erzählungen im Comic. Sein von ihm selbst gezeichnetes Alter Ego "Dr. Tom" räsoniert in einer Comixene-Kolumne heiter beschwingt über Comic-Markt und Meta-Comics, Sammler-Besessenheit und Familien-Leben, Gott und die Welt.
Martin Jurgeit stellte zum einen den Kontakt zu Volker Reiche her (* 31. Mai 1944 in Belzig, Brandenburg), außerdem vermittelte er die Verbindung zu der in der Schweiz lebenden Tochter Reinhold Eschers, Regine Mosimann. Escher ist einer der ersten zwei Mecki-Väter, die über Jahrzehnte deutsche Comic-Geschichte verfasst haben. Der KV kurvt zur Abholung der Originale an den Zürcher See.
Reiche zeichnete für mehr als acht Jahre den Comic-Strip Strizz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. In der Serie um den Normal-Verbraucher Strizz verdichtet sich fast alles, was es von Fat Freddis Cat bis zu den Peanuts an familien- und alltags-gebundenem Comic-Geist gibt, zu einer eigenständigen, anspielungsreichen und vielfigurigen Gestalt. Zuvor war er Jahre für Disney als Zeichner von Donald-Duck-Geschichten tätig. Unter den Neu-Vätern des Mecki in der Hörzu nach Petersen und Escher nimmt Reiche eine herausragende Stellung als Modernisierer ein, er "beamte" den Ur-Stachelkopf aus der Wirtschaftswunderwelt der 1950er in die 1980er Jahre.
Und so wird der Ausstellungs-Raum auch Begegnungsort von Alt und Neu, wenn neben Reiches Mecki- und Strizz-Geschichten auch eine Begegnung mit den lange unentdeckten Original-Zeichnungen des Escher-Mecki möglich werden.
Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Entstehungszeiten, der in all den großen und kleinen Abenteuern aus Reiches, Eschers und Hausmanningers Feder lebhaft gegenwärtig ist, wird mit Peter Engls Geschichte "Die 5-Minuten-Terrine – Biographie der Einheit", die zur Zeit der Wende und des Mauerfalls spielt, selber zum Helden, zum Heroen des Hedonismus.
Der 1949 in Nürnberg geborene Künstler und gelernte Koch, der schon seit 1986 in Berlin lebt, ist Maler, Graphiker, Objekt-Künstler, Produzent von Merchandising-Produkten und war Kopf der Punkband "Staubsauger". Inhaltlich bewegt er sich knallbunt und herausfordernd affirmativ auf den basal-parterren Bedürfnis-Ebenen der Masse, sein formales Kennzeichen ist das Gewimmel unzähliger, aber bei aller Stereotypie prägnant unterscheidbarer Figuren, die von einem auf's Elementare reduzierten, poppigen Comic-Stil ins Leben gerufen werden; allesamt sind sie Kinder des Runden, ihre Väter und Mütter könnten Viele-Bunte-Smarties, Verkehrsampel, Ferdinand Legers sozialistisch orientierter Zylindrismus oder das gute alte Mark-Stück heißen.
Komplettiert werden sollte die Ausstellung durch maßgebliche Beispiele deutscher Illustratoren-Kunst, deren Bildbegrifflichkeit ähnlich wie die Mecki-Geschichten Generationen geprägt haben dürften und in die schwierigen Zeiten vor 1945 zurückführen. Hier ist besonders Ruth Koser-Michaëls (* 1896; † 1968) zu erwähnen. Ihr realistischer, sehr detailgenauer, das Knorpelig-Statische betonende Zeichenstil hat den von ihr illustrierten Märchenbüchern eine bis heute ungebrochene Popularität gesichert.
Die Suche nach Original-Blättern der Künstlerin bzw. nach diesbezüglich weiterführenden Adressen ist trotz Internet bisher jedoch ergebnislos geblieben. Anrufe bei Verlagen und Auktionshäusern führten ins Leere. Der Teil der Ausstellung, der unsichtbar bleibt und dem Abwesenden und dem Wünschen Platz einräumt, wird so auch zur verlassenen Außenstation im Sternenstaub am Rand der kollektiven Erinnerung.