Das Motto - Einfach. Eigen. Einzig - dieser Retrospektive bringt in komprimierter Form zum Ausdruck, was nach neuesten kunsthistorischen Erkenntnissen über Otto Mueller und sein Werk bekannt und nachweisbar ist.
Bis vor wenigen Jahren wurde das zeitweilige "Brücke"-Mitglied Mueller leichtfertig in die Schublade der 1905 in Dresden gegründeten Künstler_innengruppe gezwängt, weil die Einzigartigkeit seines Œuvres verkannt - aber damit eine angemessene Rezeption willkürlich verhindert wurde. Die im Jahre 2010 gegründete "Otto Mueller-Gesellschaft" (mit Sitz in Weimar), die mit dieser Retrospektive ihr erstes Ausstellungsprojekt realisiert, hat in ihrem bereits erschienenen ersten "Jahrbuch" zum 80. Todestag des Künstlers mit solchen Fehleinschätzungen aufgeräumt und neue wissenschaftliche Erkenntnisse publiziert. Demgemäß ist Otto Mueller weniger als passiver Empfänger fremder Einflüsse, sondern eher als aktiver Generator und Absender eigener Impulse an andere Künstler zu sehen. Sein bisher verkannter Einfluß auf die stilistische Entwicklung von Wilhelm Lehmbrucks plastischem Werk, seine Unabhängigkeit vom sogenannten "Brücke"-Stil sowie die Ausbildung seines ihm eigenen Personalstils durch die prägenden Arbeitsaufenthalte an den Moritzburger Seen bei Dresden entsprechen eher dem Bild, das man sich von Otto Mueller und von seinem wichtigen Beitrag zur Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu machen hat. Muellers einfache künstlerische Ausdruckweise war gemäß seines 1919 im Katalog zu seiner ersten Einzelausstellung bei Paul Cassirer in Berlin veröffentlichten Manifestes sein Hauptziel - und ging, "auch im rein Handwerklichen", auf die Kunst der alten Ägypter zurück.
Diesem "Vorbild" entsprach auch eine sich von den "Brücke"-Künstlerkolleg_innen wie v. a. von Ernst Ludwig Kirchner ganz elementar unterscheidende "Entschleunigung" bei der Entstehung seiner Werke und bei der Wiedergabe seiner Eindrücke von Mensch und Natur. Die ureigene Kunstauffassung verhalf Otto Mueller zur Position eines Solitärs der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts, welcher der Moderne viel näher steht als ihm frühere Interpret_innen, die ihn als "Romantiker" oder als "Lyriker" klassifizierten, zubilligten. Auch in seinem "Frauenbild", das aus zahlreichen, immer wieder variierten Szenen entstanden ist, hob er sich ganz wesentlich von zeitgenössischen Künstler_innen ab. Muellers selbstbewußt wirkende Mädchen und junge Frauen sind eins mit der Natur und mit sich selbst. Der Künstler hat aber auch dramatische Themen gestaltet: Das Gemälde "Der Mord" wurde erst kürzlich unter der rückseitigen Schutzpappe des Gemäldes "Paar am Tisch" wiederentdeckt. Als "Markenzeichen" Otto Muellers darf die "Monumentalität" in der Darstellung des nackten weiblichen und männlichen Körpers in der anonymen und doch irgendwie persönlichen Natur gelten, mit der seine Akte in zeitloser Harmonie zu sein scheinen.
Die Einzigartigkeit der Person Mueller und seiner Werke inspirierte seine "Brücke"-Kolleg_innen zu Porträts (die in Auswahl in der Ausstellung präsent sind), während von ihm nur ein Lithoporträt des "Malers Avenarius" bekannt ist - denn dieser Einzelgänger ruhte so sehr in sich selbst als auch in seiner eigenen Kunstauffassung, daß er höchstens ihm besonders eng vertraute Personen wie seine Frauen porträtierte, und sich selbst.
Otto Mueller hat uns ein zeitloses und dennoch höchst aktuelles Werk (Thema: Harmonie zwischen Mensch und Natur) hinterlassen - in originärer Darstellungs- und Malweise, von höchster künstlerischer Qualität - das es mit unvoreingenommenem Blick ganz und neu zu entdecken gilt.