Die Lyonel-Feininger-Galerie präsentiert in einer umfassenden und erweiterten Ausstellung das Holzschnittwerk Lyonel Feiningers und dessen Wirkung auf sein späteres Schaffen am Bauhaus und darüber hinaus.
In einer Phase der Neuorientierung nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, in der Feininger seine malerischen Versuche verwirft, entdeckt der Künstler das Medium Holz. Zwischen 1918 und 1920 entstehen so in rascher Folge rund 320 Arbeiten in der Technik des Holzschnittes. Nach 1920 wird der Holzschnitt von Feininger nur noch gelegentlich verwendet und andere Techniken, vor allem die Malerei, treten in den Vordergrund. Trotz der Kürze von Feiningers Auseinandersetzung mit dem Holzschnitt hat dieser für sein späteres künstlerisches Schaffen eine große Bedeutung. Die Ausstellung zeigt auf, in welcher Weise die Arbeit an den Holzschnitten für Feininger nötig war, um einen formanalytischen Klärungsprozess voranzutreiben und somit zu den flächigen und vereinfachenden Bildkompositionen zu gelangen, die seine spätere Malerei auszeichnen.
Das Konvolut an Holzschnitten in der Lyonel-Feininger-Galerie aus der Sammlung Dr. Hermann Klumpp umfasst den weltweit reichsten Bestand an druckgrafischen Arbeiten Feiningers. Es ist daher möglich, in der Ausstellung die gesamte Breite und Vielfalt im Holzschnittwerk des Künstlers nachzuvollziehen. Sein gesamtes, seit 1905 entstandenes Oeuvre spiegelt sich darin wieder: Die dominierenden Bildmotive reichen von Stadtansichten und Kirchen über Seestücke bis hin zu den thüringischen und norddeutschen Dörfern. Aber auch Anklänge aus der frühen Zeit als Karikaturist sind erkennbar in den Grotesken, die sich durch das gesamte Holzschnittwerk quasi komplementär zu den anderen Bildmotiven hindurch ziehen. Dabei reicht der Grad der künstlerischen Orientierung von allgemeinen Bildmotiven bis hin zu konkreten Vorlagen. Ein Beispiel hierfür ist die Dorfkirche von Gelmeroda, die im Holzschnittwerk in vielfältigster Weise dargestellt wird. So bilden die Darstellungen dieser kleinen thüringischen Kirche in den Jahren 1918 und 1920 auch die beiden Pole, zwischen denen sich das gesamte Holzschnittschaffen Feiningers entwickelt. Erscheint die frühe Wiedergabe der Dorfkirche noch als gedrungen, massiv und sehr kompakt-dunkel, so ist bei deren späten Darstellung 1920 lediglich noch ein dünnes, sehr frei geschnittenes Liniennetz zu sehen, das die Kirche als eine Kathedrale erscheinen lässt. Zwar kann aufgrund von Sprüngen und vermeintlichen Rückschritten im Holzschnittwerk Feiningers nicht von einer linearen Entwicklung gesprochen werden, doch ist die Tendenz erkennbar, die Bildmotive zunehmend zu durchlichten und „die einfachste Form für einen dauernd gültigen Bildausdruck zu erreichen“.
Das Nebeneinander von einer großen Anzahl ausgewählter Holzschnitte und zahlreichen Leihgaben privater und öffentlicher Leihgeber ermöglicht es dem Besucher, nachzuvollziehen, wie sich dieser Prozess in der Behandlung der Form auf die spätere Malerei des Künstlers auswirkte. Namhafte Werke wie etwa „Gelmeroda VIII“ aus dem Whitney Museum of American Art in New York, „Stiller Tag am Meer I“ oder „Kirche über der Stadt“ aus der Sammlung Deutsche Bank lassen erkennen, dass Feininger offenbar der Technik des Holzschnittes bedurfte, um in ihm formale Aspekte zu erproben. Die klaren, vereinfachenden Formen und die Durchdringung der Flächen, welche die Malerei des Künstlers auszeichnen, scheinen offenbar ohne die Erprobungen im Holzschnitt nicht möglich. Zugleich bieten frühere Werke wie etwa „Leuchtbake“ aus dem Museum Folkwang in Essen oder Zeichnungen aus den Kunstsammlungen Chemnitz die Möglichkeit, das Holzschnittwerk des Künstlers in sein Gesamtschaffen einzuordnen und neben thematischen Bezügen – Wiederholungen von Bildmotiven in verschiedenen Techniken – auch formale Veränderungen und Parallelen festzustellen.