28.09.2007 - 06.01.2008
Anlässlich des 150. Geburtstages des französischen Fotografen Eugène Atget (1857–1927) wird ab 28. September 2007 eine große Retrospektive seiner Arbeiten im Martin-Gropius-Bau Berlin zu sehen sein. Die Ausstellung wurde von der Bibliothèque nationale de France zusammengestellt. Aus dem großen Oeuvre Atgets wurden 350 Werke ausgewählt.
Atget hat wie kein anderer Fotograf zwischen 1897 und 1927 das Alte Paris in seinen Bildern festgehalten. Seine Aufnahmen zeigen die Stadt in ihren unterschiedlichen Facetten: enge Gassen und Höfe im historischen Zentrum mit alten Gebäuden, die teilweise kurz vor dem Abriss stehen, prächtige Paläste aus der Zeit vor der Französischen Revolution, Brücken und Kais am Ufer der Seine, aber auch Geschäfte mit ihren Auslagen in den Schaufenstern. Er fotografierte Treppenhäuser und architektonische Details an den Fassaden und nahm Interieurs von Wohnungen auf. Sein Interesse galt auch der Umgebung von Paris.
Es entstanden zeitlos wirkende Aufnahmen von den Parks von Versailles, Saint-Cloud und Sceaux. Neben Architektur und dem städtischen Raum fotografierte er auch Straßenhändler, kleine Gewerbetreibende, Lumpensammler und Prostituierte sowie Jahrmärkte und Kirchweihfeste in den verschiedenen Stadtteilen. Auch die städtischen Außenbezirke und Randzonen, in denen oft Arme und Obdachlose hausten, wurden seine Bildmotive.
Atget, der seine Laufbahn als Schauspieler begonnen hatte und sich dann vergeblich als Maler versucht hatte, begann erst 1888 als Fotograf zu arbeiten. Er bot zunächst seine Aufnahmen, die er „Documents pour Artistes“ nannte, als Vorlagen für Künstler und Kunsthandwerker an. Ab 1898 widmete er sich zunehmend der systematischen Erfassung der baulichen Zeugnisse aus der Zeit vor 1789. Die Abnehmer dieser Fotografien wurden nun Institutionen wie die Bibliothèque historique de la Ville de Paris, die Bibliothèque nationale, aber auch Museen. Seine Tätigkeit fiel mit dem Bewusstsein zusammen, an einer Zeitenwende zur Moderne zu stehen. Daraus resultierten die Bemühungen von verschiedenen Institutionen, das Alte Paris im Zustand vor den baulichen Veränderungen festhalten zu lassen.
Atgets Aufnahmen unterscheiden sich von denen seiner Kollegen, die über die streng bauliche Dokumentation nicht hinausgehen, durch ihren Motivreichtum und durch eigenständige gestalterische Lösungen. Er wählte seine Sujets selbst. Oft verwendete er starke Lichtgegensätze, Schatten und Formüberschneidungen, die dem Bild Plastizität verleihen. Dabei benutzte er eine schwere Plattenkamera, ein Stativ und Glasnegative im Format 18 x 24 cm. Seine Ausrüstung wog um die 20 Kilogramm, die er ständig mit sich führte.
Mitte der zwanziger Jahre wurde Atget von jungen Avantgardekünstlern entdeckt. Man Ray, der wie er am Montparnasse wohnte, erwarb etwa vierzig Aufnahmen und veröffentlichte 1926 vier von ihnen in La Révolution surréaliste. Man Rays junge Assistentin, die Fotografin Berenice Abbott, besuchte den Fotografen mehrfach und kaufte von ihm Abzüge. Nach seinem Tod 1927 erwarb sie etwa 1.500 Negative und 10.000 der im Atelier verbliebenen Abzüge, brachte sie in die USA und widmete sich mit dem Galeristen Julien Levy vierzig Jahre lang der Aufgabe, dieses einmalige Werk bekannt zu machen. Ihr ist es zu verdanken, dass Atgets Fotografien einen beträchtlichen Einfluss auf amerikanische Fotografen wie Walker Evans oder Lee Friedlander hatten.
Berenice Abbott verkaufte ihre Kollektion 1968 an das Museum of Modern Art in New York, das in der Zeit zwischen 1981 und 1985 vier von John Szarkowski und Maria Morris Hambourg verfasste Kataloge herausbrachte. In Frankreich bemühten sich Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre Robert Desnos oder Pierre Mac Orlan darum, Atgets Oeuvre bekannt zu machen. Walter Benjamin rühmte Atget in seiner Fotografiegeschichte von 1931 als Vorläufer der surrealistischen Fotografie und begründete damit seine Anerkennung in Deutschland.
Die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau umfasst sieben Kapitel. Ein besonderer Höhepunkt sind die von Atget selbst zusammengestellten Alben zu verschiedenen Themen wie Pariser Wohnungen, Schaufenster und Befestigungsanlagen. Die Aufnahmen stammen im wesentlichen aus den Beständen der Bibliothèque nationale de France und aus weiteren öffentlichen und privaten Sammlungen in Frankreich und im Ausland (Musée Carnavalet, Bibliothèque historique de la Ville de Paris, musée dÂ’Orsay, Bibliothèque des Arts décoratifs, Museum of Modern Art of New York, Sammlung Première Heure, Sammlung Thérond u. a.).