30.11.2006 - 22.01.2007
Hermann Nitsch mit einer repräsentativen Ausstellung der Nationalgalerie in Berlin zu würdigen ist ein schon lange gehegter Wunsch. Der Martin-Gropius-Bau bietet mit seinen 18 Räumen eine gute architektonische Voraussetzung das große Werk des Künstlers vorzustellen.
Hermann Nitsch (1938 in Niederösterreich geboren), hat ein vielseitiges und kompromissloses Werk geschaffen, es sprengt den Kanon des üblichen Kunstverständnisses und die kritische und höchst fruchtbare Debatte über die Malerei von Nitsch hat stets im Zusammenhang mit dem Orgien-Mysterien-Theater (O.M.Theater) stattgefunden. Ein utopisches Theaterprojekt, das er seit den frühen sechziger Jahren aufführt und bis heute eine Grundlage seines auf ein Gesamtkunstwerk angelegter Oeuvres ist, Malaktion und Aktion des O.M.Theaters bedingen sich gegenseitig.
Die erste experimentelle Aktion fand im Dezember 1962 in Wien statt und dauerte circa 30 Minuten. Ein Mann wurde an die Wand gekettet, wie gekreuzigt. Er war mit einem weißen Gewand bedeckt und Nitsch goss Blut über das Gesicht des Angeketteten. Das Blut tropfte auf das Gewand. Die Art, in der Farbe (bzw. Blut) auf eine Grundlage aufgetragen wurde, von oben nach unten frei fließende Farbe, ist eine Methode mit der Nitsch in den folgenden Jahren zahlreiche „Schüttbilder“ geschaffen hat.
Diese Methode des Fließenlassens, den Zufall einzubinden, wendet er auch bei den Bildern an, die er mit Besen und Pinsel bearbeitet. Diese Haltung entspringt dem Tachismus und der gesamten „gegenstandslosen“ Kunst der Nachkriegsmoderne in deren Tradition sich Nitsch stets eingebunden hat.
Seine Theateraufführungen wurden gleichzeitig im Laufe der Jahre komplexer und ausgefeilter, an Kreuzen aufgehängte Lämmer und Stiere werden ausgeweidet, Musik und verschiedene Materialien kommen hinzu. Potentiell sind keine Grenzen gesetzt; inzwischen finden die Aktionen in großen Sälen oder im Schloss Prinzendorf statt, wo Nitsch seit 1971 lebt und arbeitet.
Durch das festgelegte Repertoire der Handlungsabläufe im O.M.Theater weisen die Schütt- und Wälzbilder große Ähnlichkeiten auf und lassen keinen grundlegenden Wandel erkennen. Die Beschränkung auf mehrere Grundfarben, zeigt in einer so groß angelegten Ausstellung, dass es den Werken nicht primär um Originalität der Darstellung geht, ebenso wenig wie um die Suche nach einer spezifischen Form oder zeichenhaften Elementen, sondern dass hier die Repetition eines im wesentlichen gleich bleibenden Aktionsschemas einer Fülle von Zufällen Raum gibt.
Am Anfang der Ausstellung wird der „Existenzaltar“ von 1960 stehen, der gleichsam einen Schnittpunkt darstellt. Gefolgt von 9 „Kreuzwegstationen“, diese jeweils 6 m bis 9 m langen Bilder, ziehen sich leitmotivisch durch die Ausstellung und werden aus Privatsammlungen und Museumssammlungen in Deutschland und Österreich ausgeliehen. Ein Höhepunkt wird die „Geiselwand“ aus dem Museum Ludwig sein. Auch der „Asolo Raum“ von 1973 und der „Schömer-Raum“ von 1998 aus der Sammlung Essl werden für die Ausstellung rekonstruiert aufgebaut.
Es folgen Räume mit „Fotodokumentationen“ die einen eigenen Schaffensbereich darstellen, frühe Aktionen werden auf Bildschirmen gezeigt, Partituren, Zeichnungen und ein Musikraum nehmen einen breiten Raum ein.
Eine Ausstellung mit Hermann Nitsch wird auch eine jüngere Generation von Künstlern sehr interessieren und als Publikum anziehen. Das gerade wieder neu entdeckte Interesse an performativer Kunst, lässt Hermann Nitsch und den frühen Aktionismus wieder höchst aktuell aufscheinen und mit dieser ambitionierten Ausstellung könnte das Spektrum der Kunst von Nitsch eine neue Aktualität und Dimension erlangen.