25.01.2008 - 21.04.2008
Der Martin-Gropius-Bau zeigt eine Ausstellung über den bayrischen Komiker, Kabarettist, Autor und Filmproduzenten Karl Valentin. Karl Valentin, der als Valentin Ludwig Fey 1882 geboren wurde, verfügte bereits als Kind über beachtliches künstlerisches und handwerkliches Talent. In jeder seiner Wohnungen installierte er eine Werkstatt, in der er seine Bühnenrequisiten selbst herstellte. Unter anderem konstruierte er eine Jux-Treppe, die als „Frosch-Hüpfbahn“ erfolgreich auf dem Oktoberfest 1921 eingesetzt wurde. Diese Technik-Obsession, sichtbar in produktiven Objektverwandlungen bzw. Zweckentfremdungen von Handwerkszeug und Requisiten, durchzieht seine gesamte Werkgeschichte. Sie findet sich in der Film und Bühne multimedial verbindenden Inszenierung Der Flug zum Mond im Raketenflugzeug (1928), in Stummfilmen wie Der neue Schreibtisch (1913), Die Mysterien eines Frisiersalons (1923) und der Performance-Tonfilminszenierung In der Schreinerwerkstatt (1928).
Der Gastwirt Ludwig Greiner gab jedoch den Anstoß zu Valentins stärkstem künstlerischen Ausdruck: seinem Körper. Greiner porträtierte ihn 1908 als Skelett und lieferte ihm damit die Idee, aus seinem hageren Körper Kapital zu schlagen.
Als „armer magerer Mann“ bezog Valentin seitdem seine Gestalt und Physiognomie in seine sprachspielerischen Texte ein und wurde rasch zur Avantgarde der Münchner Volkssänger. Valentin Ludwig Fey mutierte zur „lebenden Karikatur“ und feierte fortan unter dem Künstlernamen Karl Valentin große Erfolge.
Von besonderer Bedeutung ist Valentins „zweite Hälfte“ Liesl Karlstadt, die in die Bühnen- und Filmgeschichte einging. Im gemeinsamen Engagement mit Valentin sang sie erstmals 1915 im Kabarett „Wien-München“ ihr bis heute berühmtes Chinesisches Couplet. Der Durchbruch gelang ihr mit der Figur des herrischen, dicken Kapellmeisters aus dem später verfilmten Stück Orchesterprobe (um 1918).
Trotz seiner Liebe zur Bühne galt von Anfang an Valentins ganz besondere Vorliebe dem Film. Handwerkliches Geschick wie auch das Interesse für die damals neuen Kommunikationsmittel Telefon, Film und Rundfunk führten 1912 zur Gründung einer eignen Filmgesellschaft. So drehte er im selben Jahr – noch vor Charles Chaplins Regiedebüt – seinen ersten Film Valentins Hochzeit. Bis 1937 folgten über 30 weitere Produktionen, u.a. der in Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht entstandene surrealistische Film Die Mysterien eines Frisiersalons (1922) sowie Im Photoatelier (1932), Der verhexte Scheinwerfer (1934) und Der Antennendraht (1937).
An der Schwelle zum Tonfilm wurde Karl Valentin zum Experimentator. 1929 inszenierte der Medienkünstler hinter der Leinwand eines Münchner Kinos den „ersten deutschen Tonfilm“ In der Schreinerwerkstätte als Live-Ton-Performance. Valentin und Karlstadt sägten, lärmten und stritten zur stummen Projektion des Films, persönlich unsichtbar für die Kinozuschauer und doch anwesend auf der Leinwand. Mit dem Fremdenwagen durch München wurde im Mai 1929 uraufgeführt. Valentins Inszenierung entstand zu Beginn der Tonfilmära, als in ganz Deutschland erst sieben (!) Tonfilm-Projektoren im Kinoeinsatz waren. Neben Bühne und Film nutzte Karl Valentin 1928 ein weiteres Medium: Seine Monologe und Couplets erschienen auf Schallplatte. Schnell wurde Valentin, der seine magere Figur mittlerweile effektiv als Markenzeichen einsetzte, zum Werbeträger mehrerer Schallplattenfirmen.
Im Oktober 1934 eröffnete er schließlich in den Kellerräumen des Hotels Wagner sein Panoptikum. Die Sprachskepsis, seine Wortspiele, die ihn als Bühnen- und Filmkomiker berühmt gemacht hatten, wurden dort in Objektform festgehalten. Das Panoptikum war ein zwischen Heiterkeit und Grauen angesiedeltes Museum der Sinne und der Sinnestäuschungen, ein Ort, der die Realität des Alltags irreal und Irreales sinnlich erfahrbar machte. Es präsentierte zum Beispiel ein Kino, in dem Wachspuppen auf eine Vorstellung warteten, die nicht stattfand. Der Erfolg beim Publikum blieb jedoch aus. Das Unternehmen, zu dem Liesl Karlstadt viel Geld beigesteuert hatte, trieb den Komiker Ende 1935 an den Rand des finanziellen Ruins und Liesl Karlstadt in tiefe Depressionen, die zur zeitweiligen Trennung der Partner führten.
In der Nazizeit wurde beispielsweise sein Film Die Erbschaft (1936) wegen „Elendstendenzen“ verboten. Seine Filme thematisierten immer häufiger in tragisch-komischer Manier die alltäglichen Sorgen derjenigen Bevölkerungsschichten, die nicht in das idealtypische Bild der Nationalsozialisten vom Deutschen Bürger passten. Finanziell unter Druck, erklärte sich Valentin bereit, an zwei Werbetonfilmen des „Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes“ mitzuwirken.
Diese „Sparfilme“ gehörten neben seinem von der Bühne abgefilmten Sketch In der Apotheke (1941) zu seinen letzten Arbeiten. 1940 kam es mit der Schließung der „Ritterspelunke“ und nach einem Auftritt für das Winterhilfswerk im Circus Krone zum vorläufigen Abschied von der Bühne. 1945 träumte Valentin wieder von einem eigenen Filmatelier. Doch in der Nachkriegszeit war sein schwarzer Humor nicht mehr gefragt. Auch seine 1946 eingespielte Hörfunkserie Es dreht sich um Karl Valentin wurde wegen Hörerprotesten eingestellt.
Liest man die Filmkarriere Valentins aus seinen Rollenporträts, so debütierte er als „lebende Karikatur“ auf der Leinwand und verabschiedete sich als verelendeter Lumpenproletarier. Vom dürren Dandy mit Strohhut in Valentins Hochzeit (1912) bis zum arbeitslosen Lumpensammler im schlotternden Mantel in Die Erbschaft (1936) reicht das Repertoire seiner Figuren: ein Lebenslauf in absteigender Linie mit Korrespondenzen zu seiner eigenen Biografie.
Die Ausstellung entfernt sich bewusst von der biographisch fundierten Annäherung an Valentin als regional geprägter Volkssänger und Bühnenkomiker. Im Zentrum steht der komplexe Medienbezug seines Werks. Karl Valentins groteske Bühnen-, Film- und Sprachwelt, sein experimentelles, komisches Spiel mit Medieneffekten wird mit über 300 Exponaten illustriert. Zu sehen sind Fotos, Original-Handschriften, Typoskripte, Briefe, Zeichnungen, Plakate, Lichtbilder, Schallplatten und Filme.
Der Künstler starb am 9. Februar 1948 in seinem Haus in Planegg bei München, verarmt, halbverhungert und von vielen seiner Zeitgenossen so gut wie vergessen.