David Lynch erhält am 09. Oktober 2010 den Kaiserring der Stadt Goslar. Der Kaiserring wird seit 1975 verliehen und ist weltweit eine der renommiertesten Auszeichnungen für Bildende Künstler. Wer also den 1946 in Missoula, Montana, geborenen David Lynch bisher ausschließlich als international berühmten Regisseur kannte, als Schöpfer von Filmen wie "Elephant Man" und "Blue Velvet", die für den Regie-Oscar nominiert waren, oder von "Wild at Heart", für den er 1990 die Goldene Palme der Internationalen Filmfestspiele von Cannes erhielt, wird in Goslar die Gelegenheit haben, den Bildenden Künstler David Lynch kennen zu lernen: "David, the Painter", wie der Kunstschriftsteller Werner Spies einen Essay zu seinem Werk überschrieb.
Die Auszeichnung wird von einer umfangreichen Ausstellung im Möchehaus Museum Goslar begleitet. Sie zeigt Malerei und Fotografien, Grafik und Zeichnungen des Künstlers. Dieses Werk ist nicht weniger abgründig und verstörend als Lynchs Filme. Auch in ihm nimmt er uns mit auf unheimliche Expeditionen zu den Nachtseiten der menschlichen Existenz. Dorthin, wo Sehnsucht und Begierde, Angst und Schrecken herrschen. Der Schock, der für die Dramaturgie seiner Filme wesentlich ist, bestimmt auch das Werk des Malers. Auf einem Gemälde aus dem Jahre 2004 wird ein Mann von einer Kugel zerrissen.
Blut stürzt aus seinem Körper. Die schwarzen Augenhöhlen zeigen ihn bereits als Toten. Lakonisch hat Lynch den Titel des Werks im Bild vermerkt: "This Man Was Shot 0.9502 Seconds Ago". Eine Bilderzählung, ohne dass der plötzliche Einbruch von Gewalt erklärt würde. Wir wissen nicht, wer schießt oder warum. Die Existenz und Identität des Mannes bleiben im Dunkeln. Zeit und Ort sind unbestimmt. Was indes in brutaler Weise deutlich wird: Gewalt ist Teil unserer Wirklichkeit. Sie kann jederzeit auch Teil unseres eigenen Lebens werden. Uns zum Opfer oder – vielleicht noch schockierender - zum Täter machen. Darauf verweist ein anderes Bild aus den Jahren 2008/09. Eine Frau, die wie ein zotteliges Monster aussieht, sitzt auf einem Bett, neben ihr ein kleines Hündchen. In der rechten Hand hält sie ein bedrohlich aussehendes, elektrisches Messer. Aus ihrem Mund kommt in Form einer Sprechblase die rüde Aufforderung: "Change the Fucking Channel, Fuckface!"
Es herrscht Krieg in den Bildern von David Lynch. Sie inszenieren ein Panoptikum des Schreckens und zeigen, was Menschen anderen Menschen antun können. Das trifft vor allem für seine Fotowerke der "Distorted Nudes" (2004) zu. Die gefundenen Akte hat der Künstler in digitaler Bearbeitung zerstückelt und deformiert. Sie ähneln den Protagonisten seiner Filme in "Eraserhead" oder "Elephant Man". Aber es geht nicht nur um Konfrontation mit anderen. Vor allem konfrontiert David Lynch uns mit uns selbst. Seine Werke sind Initiationen. Auf dem Spiel steht unsere Identität. "No hay banda" (Es gibt kein Orchester), verkündet der Conferencier in "Mulholland Drive". Die Musik ist aufgezeichnet, die angebliche Wirklichkeit nur fingiert. Wann also leben wir in der Wahrheit, wann in der Lüge?
Auf den inneren Zusammenhang seiner Bilder und Filme verweist die Geschichte, wie Lynch zum Regisseur wurde. Eines Tages hatte er bei der Arbeit an einem Gemälde das ganz klare Gefühl, das Bild fülle sich mit Geräusch, Licht und Bewegung. Eine Art von Epiphanie. Sie war der Auslöser für seine Filmarbeit. In seinen Filmen entfaltet sich der erzählende Kern der Bilder. Die Themen aber sind dieselben wie in der Malerei. Die Suche des Menschen nach sich selbst. Seine Reisen in die strahlende Finsternis seiner Obsessionen und in die Abgründe seiner Seele. Und seine schockierenden Funde dabei.
David Lynch hüllt sie ein in den samtenen Glanz seiner Kunst. Das macht sie nicht weniger schrecklich - aber schön. Schrecklich schön!