„Made in Leipzig“ zählt seit einigen Jahren zu den erfolgversprechenden Labeln im globalen Kunstbetrieb. Das gilt vor allem für die Maler der so genannten Neuen Leipziger Schule. Deren bekannteste Vertreter – Neo Rauch, Tilo Baumgärtel oder Tim Eitel – geben gegenständliche, erzählerische Strukturen in ihren Bildern vor. Dass die Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst auch nicht-figurative, stärker konzeptuell ausgerichtete Positionen hervorgebracht hat, ist der breiten Öffentlichkeit weniger bewusst.
Die monumentalen Holzschnitte von Christiane Baumgartner und die Gemälde von David Schnell zeigen menschenleere, durch Bewirtschaftung und Technologie veränderte Landschaftsräume, oder Straßen- und Stadtansichten. Ihre vorherrschenden Themen sind Raum und Zeit.
Christiane Baumgartner hat das traditionelle Medium des Holzschnitts durch die Reflexion neuer Medien wie Video und digitale Fotografie in ihren großformatigen Papierarbeiten erneuert.
David Schnell versucht – unter Einbeziehung der Malereigeschichte und medienvermittelter Entwürfe von Landschaften (PC-Spiele, Comics) – Landschaft zeitgenössisch neu zu definieren.
Christiane Baumgartner
Christiane Baumgartners Holzschnitte, monumentale Arbeiten auf Papier, wirken durch das Spannungsverhältnis zwischen Geschwindigkeit und Stillstand. Ihre menschenleeren Sujets konzentrierten sich bis in die jüngste Vergangenheit auf Objekte, die Fortbewegung und Beschleunigung symbolisieren: Flugzeuge, Windräder oder Straßenzüge mit fahrenden Autos. Einen weiteren Themenkomplex bildeten sich verflüchtigende, durch technische Eingriffe geprägte Landschaften. Die Künstlerin nimmt den Blickwinkel eines Durchreisenden ein. Ausgangsbasis ihrer Bilder waren bis dato ausgewählte Videostills oder aus schneller Bewegung – z.B. aus einem Fahrzeug – aufgenommene Fotografien. Als Muster für den Druck wird das Material dann auf dem PC bearbeitet und vergrößert. Das verschwommene Raster der Filme und digitalen Daten transferiert die Künstlerin im Holzschnitt in parallel verlaufenden Linien.
In ihrer jüngsten Werkserie „Deutscher Wald“, die sie erstmals in Goslar präsentiert, ist nicht mehr das Bewegungsmoment bestimmender Bildfaktor, sondern die zunehmende Unschärfe des Bildes bei erhöhter Auflösung der digitalen Vorlage. Der Titel appelliert an die identitätstiftende Vorstellung der Deutschen von einer unberührten Natur. Auf die Ambivalenz unserer Gefühle zwischen romantischer Sehnsucht und dem Bewusstsein um die Gefährdung des Waldes spielt die von Christiane Baumgartner erstmals in dieser Serie verwendete rote Farbe an. Die drohende Vernichtung des Waldes wird in den neuen Holzschnitten auch zu einer drohenden Vernichtung des Bildes. In der Rückübersetzung der digitalen Fotovorlage in die Handarbeit des Holzschnitts überführt Christiane Baumgartner die Fiktion des digitalen Bildes wieder in die „reale“ Welt der Imagination.
Christiane Baumgartner erlernte die Techniken des Druckens an der Kunsthochschule in Leipzig. Nach Abschluss des Studiums folgte ein zweijähriger Aufenthalt am Royal College of Art, wo sie ihren Master in Printmaking machte. Dort entdeckte sie Fotografie und Video als neue Medien für ihre Arbeit. In ihrer Verbindung mit der Technik des Holzschnitts hat sie ihr genuines Medium gefunden. Dadurch gibt sie einer traditionellen Technik eine neue, zeitgenössische Form.
David Schnell
David Schnell malt lichtdurchflutete, zentralperspektivische Landschaften, die mit architektonischen Versatzstücken und Nutzbauten wie ein Bühnenraum mit massiver Tiefenwirkung erscheinen.
Mit markant inszenierten Fluchtpunkten führt er den Blick in den Bildraum hinein. Dessen Aufbau bestimmt sowohl die Komposition als auch die Blickrichtung des Betrachters.
David Schnell hat sich lange und intensiv mit der Entstehung der Zentralperspektive und der Entdeckung der Landschaft in der Renaissance – Petrarca und seiner Schilderung des Mont Ventoux – beschäftigt. Ebenso regen ihn die virtuellen Räume der Computer- und Internetspiele an. Zunächst ist es die industriell und landwirtschaftlich genutzte Natur rund um Leipzig, die ihn inspiriert: Ein Wald, den eine Autobahntrasse durchschneidet, Felder, geometrisch gerahmt von Forststrassen, Wege mit Tribünen und Hochständen oder gepflügte Äcker mit Strohballen. Seine Bilder reflektieren die Erfahrung mit radikalen Landschafts-Planspielen in Ostdeutschland – vor der Wende eine rückhaltlose Industrialisierung wie dem Braunkohleabbau im Tagebau, danach Renaturierung in Form von Naherholungsgebieten. David Schnells Interesse gilt den positiven wie negativen Veränderungen von Landschaften im Zeitalter globaler Veränderungen.
In späteren Kompositionen steigert Schnell mit Hilfe des Motivs der Scheune den Raumeindruck ins Extreme. Hier finden seine Impressionen als aktiver BMX-Fahrer ihren Widerhall: „Architekturen wurden ihrer statischen Funktion entkleidet, sie verloren ihre Schwerkraft“ (David Schnell). Der Blick konzentriert sich nun auf den verschachtelten Innenraum der Bretterkonstruktionen, während die umgebende Landschaft nur noch durch das Eindringen von Sonnenstrahlen oder Blättern durch die Ritzen zu ahnen ist. Unterschiedliche Betrachterstandpunkte und Blickachsen, verschiedene Fluchtpunkte und einander überlagernde Raumebenen steigern die Abgeschlossenheit des Bildraums oder zeigen Raum im Augenblick seiner Auflösung. Starke Farbkontraste wie Hellblau zu Rosa, Karmesin-rot zu Gelbgrün, Lila zu Sonnengelb, erzeugen eine flirrende, glühende Farbigkeit. Seine jüngsten Bilder sind weniger von konkreten Landschaften inspiriert als vielmehr imaginierte, als zentral-perspektivische Konstrukte begriffene Landschaftsräume, in denen eine stärkere Auseinandersetzung mit kunsthistorischen Vorbildern sichtbar wird.