Das Stadtmuseum Berlin erinnert anlässlich des Berliner Themenjahres »Zerstörte Vielfalt« an die systematische Diffamierung der innovativen Kunst der Moderne der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts und die Ausgrenzung und Verfolgung, denen ihre Schöpfer unter dem Nationalsozialismus ausgesetzt waren. Die Sonderausstellung »verfemt, verfolgt - vergessen?« zeigt den fundamentalen Angriff auf die Kunst und wie diese sich im Widerstand als unvergleichliche Form der Freiheit behauptet hat. Dabei offenbart sich ein großer stilistischer wie thematischer Facettenreichtum. Die Schau ist allen Künstlerinnen und Künstlern gewidmet, die verfemt, verfolgt oder gar ermordet wurden und deren Namen aufgrund der Zeitumstände fast vergessen worden wären. Heute ist ihre Würdigung ein Gebot historischer Verantwortung.
Wie Ernst Ludwig Kirchner empfanden es im Verlauf der 1930er-Jahre immer mehr Künstlerinnen und Künstler als Ehrentitel, den Existenz vernichtenden Stempel der »Entartung« (aus der Art geschlagen, krankhaft, dekadent) aufgedrückt zu erhalten. Der Sammler Dr. Gerhard Schneider hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, bekannte, meist aber übersehene oder bewusst ausgegrenzte künstlerische Leistungen ans Licht zu holen und sie dabei vor allem in ihrem historischen Kontext lebendig werden zu lassen. Idee und Struktur dieser Sammlung sind unvergleichlich.
»Aus meiner Sicht aber ist entscheidend, dass die damals Diffamierten mit Werken, die es ihrem künstlerischen Rang nach verdienen, in unserem kulturellen Gedächtnis einen ehrenden Platz finden.« [Dr. Gerhard Schneider]
Von den in der Privatsammlung über 400 vertretenen Künstlerinnen und Künstlern werden für die Ausstellung im Ephraim-Palais vorzugsweise Arbeiten mit Bezug zur Metropole Berlin ausgewählt, die entsprechend der Kunstauffassung der Nazis zu ihrer Zeit als »entartet« gebrandmarkt wurden oder unter entsprechende Kriterien fielen. Ein eigener Spannungsbogen lässt sich mit Bildern aus dem Fundus von Georg Netzband (1900-1984) aufbauen. Dieser gebürtige Berliner ist für die Zeit ab 1933 sowohl mit Bildern aus dem Alltagsleben wie Szenen auf dem Kurfürstendamm, Einblicken in das Café Kranzler oder die Berliner Geschäftswelt vertreten. Um die Zeit der Ausgrenzung und Verfolgung anschaulich werden zu lassen, werden die Besucher auch mit einer Fülle widerständiger Kunst vertraut gemacht, z. B. mit zeitanalytischen, gelegentlich visionären Bilddokumenten.
Das Bild »Der Sieger« von Netzband trägt rückseitig den Vermerk: »Gemalt im Garten. Mai 1939«. Es wurde also drei Monate vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gemalt und nimmt in visionärer Weise den Kriegsverlauf vorweg: Der Tod steht in Generalsuniform auf einem Leichenberg, das zerstörte Berlin im Hintergrund, nur noch erkennbar an dem geborstenen Funkturm. Gemalt wurde das Bild im Garten, um Farbgeruch im Haus zu vermeiden, da der Künstler wegen des Verdachts politischer Unzuverlässigkeit überwacht wurde. Als Netzband in den Krieg eingezogen wird, vergräbt er die politisch brisanten Bilder mit weiteren in Blechkisten und holt sie erst 1948 nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft wieder hervor.
Während der braunen Ära wurden nach heutigem Wissensstand über 20.000 Kunstwerke von ca. 1600 Kunstschaffenden in Museen und öffentlichen Sammlungen beschlagnahmt und zu einem großen Teil zerstört. Insgesamt ächteten die Nationalsozialisten das Werk aller Künstler, die neue Wege des Ausdrucks gingen. Ein Dorn im Auge waren insbesondere kritische Darstellungen gesellschaftspolitischer Themen, etwa die Herausarbeitung von Kriegsschrecken und Kriegsfolgen. Gegen Ende des Krieges wurden viele Kunstwerke, ganze Künstlerateliers Opfer des Bombenhagels. Weitere bis dahin geschaffene Lebenswerke gingen durch Vertreibung verloren. Was heute an Kunstwerken der jüngeren Expressionistengeneration vor 1945 erhalten geblieben ist, beruht oft auf Zufällen.