Im Jahre 1865 berichtet Hoffmann von Fallersleben dem Herzog von Ratibor: „Für die Geschichte unserer Bibliothek gewährt der Einband der Romane sichtliche Anhaltspunkte“. Damit fasst er nahezu programmatisch zusammen, was den Besuchern hinter den 200 Glastüren der edlen Holzvitrinen in der Corveyer Bibliothek vor Augen geführt wird.
Die Einbände aus den verschiedenen Epochen sind nämlich auch ein Indiz für die Geschichte ihrer fürstlichen Sammler und Besitzer. Diese haben schließlich nicht nur das inhaltliche Profil der Bibliothek geprägt, sondern auch das äußere Erscheinungsbild in ihrer stilistischen und geschmacklichen Ästhetik.
Vier Generationen hessen-rotenburgischer Landgrafen verliehen ihrer Hofbibliothek zwischen 1725 und 1834 durch die Einbandgestaltung ein repräsentatives Aussehen. In dieser Zeit bestimmen Ganzfranzbände mit echten Bünden und farbigen Schnitten das Bild. Die Rücken sind goldverziert und mit roten und blauen Schildchen versehen. Auf zahlreichen Deckeln ist ein goldenes Supralibros eingeprägt und in vielen Buchdeckeln prangt ein Wappen-Exlibris.
Ab 1840 bevorzugten die Herzöge von Ratibor in der Regel wenig repräsentatives, dafür aber praktisches Sarsenet und Kaliko als Einbandmaterial. Hoffmann von Fallersleben beklagte anfangs das wegen des weitgehenden Verzichts auf Farbe und aufwendige Verzierungen auf-fallend einfache „Gesicht“ der Bücher. Doch er war Fachmann genug um dem Herzog 1867 zu gestehen: „Der Sarseneteinband, wie er seit Jahren beliebt war, bewährt sich immer mehr: er bleibt frei von Wurmfraß und Schimmelansatz, womit leider die Rothenburger Ledereinbände, zumal bei anhaltendem feuchten Wetter, heimgesucht werden.“ Als Präsident des Preussischen Herrenhauses vergab der Herzog von Ratibor aber auch Aufträge an den Berliner Hofbuchbinder Collin. Dieser fertigte für dessen Villa in der Hauptstadt höfisch-reprasentativ gestaltete französische Einbände in Halbleder mit echten Bünden und Rückenvergoldung sowie farbigen Schildchen und prächtigen Schnitten und Vorsätzen.
Einen stilistischen Höhepunkt bildet die Einbandkunst des Historismus. In den Jahrzehnten von 1860 bis 1890 hat man mit der Wiederentdeckung historischer Stile die alten Formen aus Mittelalter, Renaissance und Barock zu einem Kunstobjekt vermischt und geradezu verwegen kombiniert. Besonders prächtige Einbände aus dieser Zeit sind in Corvey erhalten. Der Herzog von Ratibor erhielt nämlich zahlreiche ihm gewidmete Bücher, die in prunkvolle, reich verzierte Einbände von hoher handwerklicher Qualität gebunden sind. Derartige Bände wur-den aus kostbarem Material – aus Leder, Samt oder Seide – hergestellt und mit Verzierungen aus versilbertem oder vergoldetem Metall mit Emailleeinlagen versehen. Mitunter wurden sogar Edelsteine eingelassen. Das herzogliche Wappen findet sich auf fast allen Einbänden in dreidimensionaler Metallarbeit. Sehr in Mode waren auch Lederschnittbände, aufwendig gestaltete Handwerkskunst und ein beliebter Rückgriff auf das Mittelalter.