Das Museum Tinguely in Basel widmet dem in London lebenden Künstler Haroon Mirza (*1977) seine bisher grösste Ausstellung. Die raumgrei-fenden Installationen des Künstlers integrieren vielfach Ton und Licht, häufig auch Video und Film sowie gefundene Objekte oder Werke anderer Künstler. Mirza generiert damit immer-sive Wahrnehmungserlebnisse, die Auge, Ohr und Orientierung im Raum herausfordern. Mit existierenden und mehreren neu für die Aus-stellung konzipierten, ortsspezifischen Werken präsentiert das Museum Tinguely vom 10. Juni bis 6. September 2015 Mirzas Schaffen in großer Breite.
Die Ausstellung ‚Haroon Mirza/hrm199 Ltd.‘ rückt die gemeinschaftlichen Praktiken des Künstlers ins Zentrum. Der Titel, der den Firmennamen von Mirzas Studio ‚hrm199 Ltd.‘ zitiert, spiegelt diesen Ansatz wider. Künstlerisches Schaffen ist stets ein Prozess mit vielen Akteuren. Dieser umfasst die MitarbeiterInnen im Studio, die Architektin oder die Beteiligten am Ausstellungsort, aber auch andere Künstler, die für die Ausstellung mit bestehenden Werken oder im persönlichen, kreativen Dialog zu Neuem beitragen, wie etwa Alexander Calder, Channa Horwitz und Anish Kapoor. Verschiedene Formen künstlerischer Interaktionen, von Aneignungen, dialogischen Strukturen, Komplizenschaften bis hin zur Tätigkeit des Kuratierens selbst werden dabei vorgestellt. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog in einem experimentellen Format, der die kreativen und die praktischen Interaktionen sichtbar macht, die Teil jedes Entsteh-ungsprozesses von Ausstellungen sind.
Haroon Mirza studierte Malerei, Design und Theorie an der Winchester School of Art, am Goldsmiths College und am Chelsea College of Art. Im Jahr 2011 erlangte er mit der Auszeichnung des silbernen Löwen auf der 54. Biennale von Venedig internationale Bekanntheit. 2014 wurde er mit dem Zurich Art Prize und dem Nam June Paik Art Center Prize geehrt.
Mirzas künstlerisches Schaffen vollzieht sich als permanentes Experiment, dem die kritische Analyse von Entstehungsbedingungen und Kategorisierungen der Kunstproduktion eingeschrieben ist. Seine Klang-, Licht- und Medieninstallationen zeichnen sich sowohl durch formale Präzision als auch durch die Entfaltung komplexer Narration aus. Sie sprechen den Sehsinn wie das Gehör an und befragen das Verhältnis der Sinne zueinander. Den meist ortsspezifischen Installationen ist ein vielschichtiger Dialog mit dem verarbeiteten Material eingeschrieben, das von Audiogeräten, LEDs und Solarpanels bis hin zu Found Footage und Arbeiten anderer Künstler reicht. Teilweise werden auch seine eigenen Kunstwerke wieder zu Material und in neue Arbeiten eingepasst. Ein wiederkehrendes Motiv ist der ‚Missbrauch‘, die kreative Verfremdung und Transformation von Apparaten und Funktionszusammenhängen, als Strategie der Brechung und der Erweiterung von Möglichkeiten.
Mit künstlerischen Verfahren wie Appropriation, Verwendung von Readymades und Reverse Readymades sowie der Einführung von Self-governing-Systems befragt Mirza die Produktionsbedingungen von Kunst und dekonstruiert auf spielerische Weise die Rolle des Autors und Künstlers. Diesen Aspekt fokussiert die Ausstellung ‚Haroon Mirza/hrm199 Ltd.‘. Sie nimmt damit am Programm des Hauses teil, die Kernideen von Jean Tinguelys innovativer Kunstpraxis für die Gegenwart zu befragen. Bereits seit den späten 1950er Jahren erprobte Tinguely kooperative und anti-institutionelle Formen der Produktion von Kunstwerken etwa in gemeinsamen Werken mit Yves Klein (La Vitesse totale, 1958) oder in Ausstellungsprojekten wie ‚Dylaby‘, ‚Hon‘ oder auch Le Cyclope.
In welchem Masse ist eine Einzelausstellung – vor dem Hintergrund der Dekonstruktion von Autorschaft – zugleich immer auch eine Gruppenausstellung? Die Ausstellung ‚Haroon Mirza/hrm199 Ltd.‘ nimmt sich dieser Frage an und präsentiert unterschiedliche Formen der künstlerischen Zusammenarbeit.
Eine Schlüsselposition für die Entwicklung gemeinschaftlicher Praktiken innerhalb von Mirzas Œuvre hat hierbei das Werk An_Infinato (2009) inne, das Footage von Guy Sherwins Film Cycles #1 (1972/1977) und Jeremy Dellers Video Memory Bucket (2003) integriert. Demgegenüber steht die von Mirza und Richard Sides kuratierte Installation Sound Spill (Second Edition) (2009/2015), welche die Integrität der drei versammelten Film- und Videoarbeiten zwar wahrt, aber in einen neu formulierten Zusammenhang bringt. In künstlerischem Dialog reagiert Mirza mit einer Klang- und Lichtinstallation auf die konzeptuellen Zeichnungen von Channa Horwitz.
In einer anderen Arbeit inkorporiert er einen konkaven Spiegel von Anish Kapoor und lotet mit einem Lautsprecher dessen akustische Qualitäten aus. Kooperativer Natur ist hingegen die im Solitude-Park präsentierte, technisch aufgerüstete Marmorskulptur, Standing Stones (2015), die Mirza zusammen mit dem italienischen Bildhauer Mattia Bosco entwickelte.
Mirza nimmt in mehreren Werken auch direkt Bezug auf die Sammlung des Museum Tinguely. Inspiriert durch das charakteristische, metallische Kreischen des Mengele-Totentanz (1986) entwickelte Mirza eine Intervention mit Licht und Ton. In Pavilion for Optimisation (2013/2015) integriert der Künstler mehrere von Tinguelys Radio-Skulpturen. Darüber hinaus konzipierte er mit der neuen Arbeit Duet for a Duo (2015) eine Geräuschkomposition mit Werken Alexander Calders und Jean Tinguelys. Calders Ohne Titel (ca. 1940) wird mittels Ventilator in Bewegung versetzt und bietet so die seltene Gelegenheit, eine der auf Bewegung und Klang ausgerichteten, aus konservatorischen Gründen jedoch häufig statisch präsentierten Skulpturen Calders in ihrer ursprünglichen Konzeption zu erfahren. Parallel dazu ertönen zwei weitere von Tinguelys Radio-Skulpturen.