15.10.2008 - 31.03.2009
Vor genau zehn Jahren drohte dem Industriestandort Berlin-Wilhelmsruh das Aus.
Der Konzern ABB beabsichtigte dort die Einstellung der Produktion. Nach öffentlichen Protesten gelang es Gewerkschaft, Politik und Konzernleitung, die Schließung abzuwenden und sich auf ein Konzept für den Fortbestand dieses bis heute bedeutenden Produktionsstandortes im Berliner Norden zu verständigen.
Der Museumsverbund Pankow stellt nun in seiner neuen Sonderausstellung die zurückliegenden, sehr unterschiedlich verlaufenden 100 Jahre dieses Industriestandortes in Berlin-Wilhelmsruh vor. Entsprechend seiner Entwicklung gliedert sich der Ausstellungsraum in drei inhaltliche Abschnitte. Vorangestellt wird die Darstellung wichtiger elektrotechnischer Erfindungen bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts und damit die Voraussetzungen der sich in Berlin zu der Zeit rasant entwickelnden elektrotechnischen Industrie.
In einem ersten Teil wird die Betriebsgeschichte von 1908 bis 1945 thematisiert.
Preisgünstig und mit guter Verkehrsanbindung erwarb der Unternehmer Siegmund Bergmann im Jahre 1906 dieses zur Gemeinde Rosenthal gehörende Gelände für seine Elektricitäts-Werke. Bereits 1908 begann hier das neuerrichtete Metallwerk zu produzieren und in den Folgejahren entstanden insgesamt 18 Industriebauten, darunter ein Kabelwerk und eine Gummifabrik. Der Betrieb wuchs schnell zu einem bedeutenden Universalunternehmen der Berliner Elektroindustrie. Die Fabriken der Bergmann-Elektrizitätswerke AG in Wedding und Wilhelmsruh verfügten bis zum Zweiten Weltkrieg über eine umfangreiche Produktpalette für Industrie und den privaten Bedarf, darunter Turbinen, Generatoren und Transformatoren zur Stromerzeugung- und Umwandlung sowie Haushaltsgeräte, Glühlampen, LKW und PKW. Der Markt für den Absatz elektrotechnischer Erzeugnisse in Berlin, in Deutschland und im Ausland schien in dieser Zeit unersättlich.
Bereits während des ersten Weltkrieges stieg das Unternehmen zu einem bedeutenden Lieferanten für das Heeres- und Marineamt auf. In Vorbereitung und nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges stellte Bergmann ebenfalls Rüstungsgüter her, darunter Zünder, Granaten, Kartuschen und Patronen. Neben der Betriebsgefolgschaft wurden auch ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene beschäftigt und in werkseigenen Barackenlagern untergebracht.
Ein zweiter Ausstellungsabschnitt behandelt den Zeitraum zwischen 1945 bis 1990.
In der Konsequenz ihrer Beteiligung am NS-Regime wurden die Bergmann-Elektricitäts-Werke nach 1945 enteignet. Bis in die 50er Jahre lieferte das Werk Reperationsleistungen in die Sowjetunion.
Am 9. Februar 1949 erfolgte die Gründung des Volkseigenen Betriebes Bergmann-Borsig.
Nach der Ausrufung des 1. Fünfjahres-Plans 1951 wurde der Betrieb zum wichtigsten Produzenten für Energiemaschinen in der DDR. Bestand die Produktion des Werkes zunächst in der Instandsetzung und Reparatur von Kesseln, Dampfturbinen und Generatoren für bestehende Kraftwerke, so wurden in Wilhelmsruh bis 1989 komplette Kraftwerksanlagen geplant, hergestellt und anschließend vor Ort montiert.Entsprechend einer Entscheidung des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) war die Leistung der bei Bergmann-Borsig hergestellten Maschinen auf 110 Megawatt (MW) begrenzt.
Größere Kraftwerksanlagen bis 500 MW wurden in der Sowjetunion (SU) gefertigt und durch Mitarbeiter aus Wilhelmsruh montiert.
Angesichts häufiger Schwierigkeiten in der Materialzulieferung, defekter Maschinen und Werkzeuge sowie einer schwer beherrschbaren Lenkung und Kontrolle des Produktionsprozesses kam es immer wieder zu einer Planuntererfüllung. Bergmann-Borsig produzierte bis 1989 insgesamt 140 Dampfturbinen, 268 Generatoren und 71 Gasturbinen.
Im Herbst 1989 reagierten Gewerkschafter von Bergmann-Borsig öffentlich auf die sich zuspitzende gesellschaftliche Entwicklung in der DDR und verfassten einen offenen Brief an den Vorsitzenden des FDGB, Harry Tisch, in dem sie zu den ausgereisten Mitarbeitern ihres Betriebes Stellung nahmen und die Informationspolitik in den DDR-Medien dazu kritisierten. Darüber hinaus bemängelten die Autoren des Briefes das gestörte Vertrauensverhältnis der Bevölkerung zum Staat und seiner herrschenden Partei.
Mit dem Fall der Berliner Mauer endete auch die Zeit des Sperrgebietes rund um das
Betriebsgelände, das Bergmann-Borsig seit 1961 hermetisch von seiner Umgebung
abgetrennt hatte.
Der letzte Ausstellungsabschnitt beginnt mit dem Verkauf des ehemaligen VEB Bergmann-Borsig als Treuhand-Betrieb an das Unternehmen Asea Brown Boveri im Jahre1991 bis zur Gründung des PankowParks 1998 und dem aktuellen Produktionsgeschehen.
Die Darstellung der drei Hauptabschnitte wird durch eine Reihe von Exkursen und biographischen Skizzen zu ehemaligen Beschäftigten ergänzt, u.a. der Unternehmerpersönlichkeit Siegmund Bergmann, dem Einsatz ausländischer Zwangsarbeiter, der Realität als Grenzbetrieb, den Ereignissen am 17. Juni 1953, den Kultur- und Sozialeinrichtungen, der Konsumgüterproduktion sowie der Bedeutung des heutigen Betriebsensembles als Industriedenkmal.
Für die Ausstellung konnten umfangreiche Archivquellen gesichtet, Zeitzeugen befragt, sowie Objekte zur Geschichte des Industrieareals aus Museen von privaten Leihgebern zusammengetragen werden. Das Forschungs- und Ausstellungsprojekt, das der Museumsverbund Pankow in Kooperation mit dem Kulturring in Berlin erarbeitet hat, wurde u.a. von ABB-Liegenschaften, der Alstom Power Service GmbH, dem Freundeskreis der Chronik Pankow sowie vielen engagierten Einzelpersonen, darunter ehemaligen und heutigen Beschäftigten, unterstützt.
Zur Ausstellung erscheint im text.punkt verlag Berlin ein Begleitband.