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Naturkundemuseum Bielefeld


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tgl. 10.00-17.00 Uhr

Festliche Reise um die Welt- Das Schützenfest und andere Rituale

04.07.2008 - 08.02.2009
Der Begriff "Ritual" klingt in westfälischen Ohren fremdartig und will so gar nicht zu dem Begriff "Schützenfest" passen. Und doch haben der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und der Verein Ethnologie in Schule und Erwachsenenbildung (ESE) ihrer gemeinsamen Wanderausstellung „Festliche Reise um die Welt“ den Untertitel "Das Schützenfest und andere Rituale" gegeben. Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen vier zunächst unterschiedliche Feste aus vier Kontinenten: eine Hochzeit in Pakistan, das Festival de l'Air im nördlichen Niger, das mexikanische Fliegerspiel und eben das typisch westfälische Schützenfest. So unterschiedlich die vier Feste sind, die die Ausstellung anhand von Fotos, Festkleidung, Schmuck und vielen weiteren Exponaten vor Augen führt - dennoch haben sie viele Gemeinsamkeiten: "Die Feste unterbrechen den Alltag und verkehren ihn in sein Gegenteil, indem sie ihn durch rauschhafte Formen der Geselligkeit ersetzen. Die Feste schaffen Gemeinschaft, halten diese zusammen und festigen damit die Identität als Gruppe. Dabei geben immer wiederkehrende Riten Ordnung, Struktur und damit Sicherheit", fasst Kerstin Brünenberg von ESE zusammen. Die Ausstellung ist bewusst als eine Reise um die Welt inszeniert, deren letzte Station das Schützenfest in Westfalen ist. Damit soll bei den Besuchern ein Aha-Erlebnis ausgelöst werden. Was sie zunächst als fremd und exotisch sehen, nehmen sie nach dem Vergleich mit dem Schützenfest anders wahr. Und umgekehrt bekommen sie ganz neue Einblicke, wenn sie das vertraute Fest einmal gewissermaßen aus der Vogelperspektive wahrnehmen. Am Ende ist das Fremde nicht mehr so fremd und das Eigene nicht mehr so bekannt, wie es oft scheint. Welche - oft religiösen - Hintergründe ein Fest hat, wissen viele der Mitfeiernden überhaupt nicht: Das Fliegerspiel in Mexiko war ursprünglich eine Zeremonie, mit der die Feiernden um Regen gebeten haben.Heute ist es in erster Linie eine Touristenattraktion. Umgekehrt war es beim noch recht jungen "Festival del l'Air" im nördlichen Niger: Das Fest wurde 2001 ins Leben gerufen, um Touristen in die abgelegene Wüstenregion zu locken. Innerhalb von wenigen Jahren ist daraus unabhängig vom Tourismus ein Kulturfest von Tuareg für Tuareg mit Kamelrennen, Musik und Tanz geworden. „Künstliche" Feste werden aber nicht nur als zusätzliche Attraktion in Touristenregionen kreiert: 1951 "erfand" der ehemalige lippische Landespräsident Heinrich Drake die "Lippischen Heimattage", um die Identität der Lipper zu stärken und die Integration der Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten zu fördern. Das westfälische Schützenfest wird häufig mit Biergelage und militärischem Auftreten in Verbindung gebracht, die historischen Hintergründe kennt kaum jemand. Der militärische Charakter des Schützenfestes geht auf das Mittelalter und die frühe Neuzeit zurück, als es Aufgabe der Schützengesellschaften war, die Stadtmauern zu pflegen und zu verteidigen. Diese Aufgaben fielen zu Beginn des 18. Jahrhunderts weg, die militärischen Rollen blieben erhalten. Indem Kaiser Wilhelm II. sich gerne in Phantasieuniformen zeigte, trug er dazu bei, dass auch die Schützenbrüder uniformiert feierten. Der verbreiteten Verehrung und Imitation der Kaiserfamilie hat das Fest ein heute unabdingbares Element zu verdanken: den Schützenkönig samt Hofstaat. Und hier kommen die Frauen ins Spiel, die laut Brünenberg nicht nur eine "dekorative Funktion" hatten, sondern für das Fest unentbehrlich wurden. Solche ausgeprägten Rollen für Männer und Frauen gibt es nicht nur in Westfalen. In islamisch geprägten Kulturen ist der Mann beispielsweise für das Repräsentieren der Familien nach außen verantwortlich, während die Frau für Haushalt und Erziehung verantwortlich ist. In Pakistan bedeutet dies, dass Männer und Frauen bei Hochzeiten in getrennten Räumen feiern. Die Ausstellung „Festliche Reise um die Welt“ soll dazu beitragen, dass die Menschen offener werden im Zusammenleben mit anderen Kulturen. Denn gerade im Zeitalter von Globalisierung und Migration sind interkulturelle Begegnungen allgegenwärtig. Sie sind interessant, bereichern unser Denken und sind häufig doch von Missverständnissen geprägt. „Die Beschäftigung mit dem kulturellen Fremden steht zwar im Mittelpunkt der Ethnologie, aber oft erweist sich das Fremde nur als Umweg zu einem besseren Verständnis der eigenen Kultur“, so der bekannte deutsche Ethnologe Karl Heinz Kohl.

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