Um 1900 befand sich Deutschland im wirtschaftlichen und demografischen Aufschwung. Die Einwohnerzahl war von 41 Millionen (1871) auf 56 Millionen (1900) und 65 Millionen (1911) gestiegen. 1907 arbeiteten bereits mehr Menschen in der Industrie (42,2 %) als in der Landwirtschaft (28,4 %) – Tendenz steigend. Zwischen 1871 und 1921 vervielfachte sich die Zahl der Studenten von 22.892 auf 71.719, die der Professoren von 869 auf 2.108. In den Bereichen Industrie, Elektronik und Chemie strebte Deutschland nach einer den Weltmarkt beherrschenden Stellung.
Auch in Hofheim machte sich der Aufschwung bemerkbar. Die Zahl der Einwohner stieg beständig von 2.399 (1890) auf 3.350 (1905) und 4.415 (1912). Das Städtchen wuchs über den alten Stadtkern hinaus, bürgerliche Villen entstanden entlang der Landstraße und am Hang des Kapellenberges. Neue Arbeitsbereiche wurden erschlossen. 1804 zählte man 24 verschiedene Berufe, 1854 schon 49 und im Jahr 1894 sogar 121. Die Zunahme hatte besonders in den Bereichen: Industrie, Technik, Chemie und damit verbunden im Bürowesen stattgefunden. Neue Arbeitsmöglichkeiten gab es in Bildung und Medizin. Aber auch Dienstleistungen waren gefragt: sei es in der Gastronomie, als Gärtner oder als Hausmädchen in einem Privathaushalt.
Für die Stadt am Taunus bedeutete das neue Jahrhundert einen Wandel innerhalb der Bevölkerung. Während Bauern und kleine Handwerker zum Arbeiten in die nahen Industrie gebiete zogen, suchten wohlhabende, gebildete Frankfurter im ländlichen, romantischen Hofheim Erholung, ob für kurze Zeit oder auf Dauer.
Mit den Neubürgern kamen auch städtische Vorstellungen und Ansprüche an eine entsprechende Infrastruktur: Ausbau der Verkehrswege, weiterführende Schulen, Strom, Gas und Telefon. Auch sozialistisches und fortschrittliches Gedankengut hielt Einzug, doch der Anteil der Vertreter war verschwindend gering. Ihnen stand die Masse der konservativ Denkenden mit ihren hierarchisch geprägten Vorstellungen und Zielen gegenüber.
In Hofheim - wie überall im Kaiserreich - gehörten Vaterlandsliebe, Disziplin und gehorsam zu den deutschen Tugenden und den Grundlagen der Gesellschaft.
Anhand vieler Spuren in Form von Schrift- und Bildmaterial aus den Beständen des Stadtarchivs Hofheim sowie Objekten und Dokumenten aus Privatbesitz gibt die Ausstellung im Stadtmuseum Hofheim einen Einblick in die Zeit von ca.1900 bis ca.1929. Eingebettet in dieses erste Drittel des 20. Jahrhunderts wird der Weltkrieg (1914-1918) mit seinen Spuren in Hofheim präsentiert.
Die Ausstellung spricht Teilaspekte an und gibt - neben Informationen zur Lokalgeschichte - zahlreichen Fragen neuen Raum: Wie erlebte der einzelne Mensch diese Jahre der nationalen Größe und des Zusammenbruchs? Bewirkten Kaiserreich und Erster Weltkrieg die Bildung jenes Nährbodens, der eine Entstehung des Nationalsozialismus erst ermöglichte?
Die Texttafeln und Objekte führen von der Militarisierung in wilhelminischer Zeit über die Euphorie, die zu Beginn des Ersten Weltkrieges auch in Hofheim herrschte, zu den Schrecken des Krieges. Hunger, Entbehrungen und Arbeitslosigkeit herrschten im Ort wie im ganzen Land. Mit der Dauer der Kämpfe wuchs die Sehnsucht nach Frieden - an der Front und in der Heimat.
Woran merken wir das Krieg ist?
Wir merken daß Krieg ist zuerst an dem Brot, denn wir dürfen nicht mehr so viel Brot backen. Es gibt nicht mehr so viel Mehl und da kann man nicht mehr so viel Brot backen. Jetzt ist auch alles so teuer, daran merkt man auch daß Krieg ist.
Wir merken es noch mehr, weil unsere Väter und Brüder im Felde sind. Wenn wir lange nicht mehr merken, daß Krieg ist, läutet es. Da springen wir auf die Straße und da sagen die Leute, es wäre ein Sieg. Wir merken es noch mehr, denn in Hofheim sind viele Soldaten einquartiert.
Aus dem Tagebuch (1914-1917) von Anna Linscheid
Während im übrigen Deutschland mit der Unterzeichnung des Waffenstillstands am 11. November 1918 der Erste Weltkrieg sein Ende fand, ging in Hofheim die Kriegszeit fast nahtlos in eine Besatzungszeit über. Bis Ende 1929 stand die Kleinstadt unter französischer Verwaltung. Das eigentliche unbesetzte Deutschland begann hinter Höchst an der Nidda und Eschborn, in Richtung Frankfurt. Scharfe Grenzkontrollen verhinderten den Weg zur Arbeit und den Transport von Waren.
Als Teil der glücklosen Weimarer Republik konnten sich Hofheim und die Ortschaften Richtung Mainz erst dann fühlen, als im Juli 1930 die Besetzung offiziell beendet wurde. Doch bereits 1933 hielt der Nationalsozialismus Einzug.