Das Textilmuseum St. Gallen wirft in seiner neuen Ausstellung Vision schon einen Blick auf die Trends des nächsten Jahres. Für die Saison Frühling/Sommer 2014 steht die Natur mit ihren Farben und Formen Pate. Blumen, und Blätter ranken und wuchern, Grün und Gelb in all seinen Schattierungen leuchten auf den Stoffen. Aber auch die Welt der Mineralien mit ihren tiefen Schwarz - und Grautönen und kristallinen Strukturen hält Einzug in die Modewelt. Die strengen Muster in Schwarz und Weiss setzen einen Kontrapunkt zu der bunten Farbenwelt der Natur. Dem wilden Wuchern der Pflanzen stehen streng geometrische Muster gegenüber.
Diane Vreeland Satz „ Now I exaggerate — always “ beschreibt in den Augen von Michaela Reichel, der Direktorin des Textilmuseums St. Gallen, perfekt, was 2014 auf die Modewelt zukommt. Die Übertreibung regiert – nicht einzelne Blüten sondern ein Blumenmeer bedeckt die Oberflächen, wild explodieren die Farbe und Formen. Alles was die Natur an Farben und Formen zu bieten hat wird aufgegriffen und übersteigert. Dies macht auch vor den klassischen Nicht - Farben Schwarz und Weiss nicht Halt. „Die Kombination aus Schwarz und Weiss hat nächstes Jahr mit Dezenz und Zurückhaltung absolut nichts mehr zu tun“, findet Reichel.
Die Stoffe im Textilmuseum St. Gallen zeigen, dass die Designer, um ihr Ziel zu erreichen, auch auf in novative Stoffe und Veredelungstechniken setzen. Baumwolle, Leinen, Seide und Kunststoffe in den verschiedensten Kombinationen und Verarbeitungen sind völlig gleichwertig nebeneinander zu sehen. Intelligente Garne und Ultra - Stretch lassen Entwürfe zu, die bis vor kurzem noch als unmöglich zu realisieren galten. Beschichtungen und Oberflächenbearbeitungen bringen die Farben und Muster erst richtig zur Geltung.
Ziemlich gewagt von einem Museum, sich als Trendscout zu betätigen, oder doch nicht? „Stimmt, würden wir allein auch nicht schaffen“, gibt Reichel sofort zu. Swiss textiles, der Schweizer Textilverband, stellt dem Museum Daten und Unterlagen zu Verfügung, mit deren Hilfe das Konzept für die Vision erarbeitet wird. – Und die Schweizer Textilindustrie spielt auch mit. Jede Saison suchen die Firmen aus ihren tausenden Entwürfen nach den Vorgaben des Museums Muster aus und machen so überhaupt erst die Ausstellung möglich. Diese Zusammenarbeit macht es möglich, die Entwürfe der wichtigsten Schweizer Textilfirmen aus dem Bereich Mode und Innenausstattung zu zeigen.
Das Textilmuseum St. Gallen geht bei der Inszenierung der Stoffbahnen und –muster diesmal ganz in die Vertikale – an riesigen Trägerplatten wimmelt es von Mustern und Materialien. Modestoffe für die Haute Couture, Stickereien für Unterwäsche, Jerseystoffe, Bänder, Garne und Teppiche überziehen, geordnet nach den Kategorien „Blumen“, „Geometrie“ und „Schwarz/Weiss“, die Wände. Mit „ Strukturiertes Chaos“ fasst Bernhard Duss, Szenograph der neuen Vision, sein Konzept zusammen. Dazwischen eingeschobene Photos und Musterkarten lassen erkennen, wie genau diese scheinbar so leicht hingeworfenen Stoffe im Vorfeld geplant werden müssen. „Trends zu identifizieren ist eine Monsterarbeit“, weiss der gelernte Textildesigner aus Erfahrung. Die Ausstellung Vision findet im selben Raum, in dem auch die 120 Jahre alte Handstickmaschine des Museums steht, Platz . Eine bewusste Entscheidung, wie die Direktorin betont. „Schliesslich geht es bei uns immer um diesen Spannungsbogen zwischen traditionsreicher Vergangenheit und hoch technisierter Gegenwart und das wird so besonders deutlich.“
Sehr gediegen und gedeckt präsentieren sich die Stoffe für die nächste Wintersaison. Dunkles Grün, satte Brauntöne und Violett erinnern an die Stimmung alter niederländischer Landschaftsgemälde. Im scharfen Kontrast dazu stehen auf der Farbpalette des komm enden Winters aber auch eisige, fast metallisch wirkende Pastelltöne. Die neue Ausstellung Vision Winter 2014/15 macht diese Gegensätze sichtbar. Die Stoffe zeigen die Vielfalt heutiger schweizerischer Textilproduktion: Von feinen Stöffchen für den Dessous bereich oder exklusiven Stickereien für die Haute Couture, bis zu schweren Geweben für Möbelbezüge, glänzenden Zierbändern und rauen Teppichen.
Als Dauerbrenner erweisen sich einmal mehr florale Motive und Karos. Zierlich gestickte Blütenranken für Unterwäsche und flächendeckende grossblumige Dekore für Inneneinrichtung und Kleidung belegen die ungebrochene Popularität von Blumenmotiven.
Die aktuellen Farben sind gedämpft, sie wirken wie durch Rauchglas gefiltert – „bunt aber nicht leuchtend“, fasst Michaela Reichel, die Direktorin des Textilmuseums, den Trend zusammen. Auch Karostoffe verzichten auf grelle Kontraste und bleiben Ton - in - Ton. Durch ausgeklügelte Oberflächenbehandlungen erhält der Stoff das gewisse Etwas: Bewegt man die Stoffe, treten die Karos unterschiedlich intensiv hervor. Selbst Metallfäden und Pailletten schimmern nur sanft und erinnern an die gedämpften Goldgründe mittelalterlicher Madonnendarstellungen. Diese altmeisterliche Atmosphäre der Ausstellung bricht eine Kaskade aus feinen, pastellfarbenen Geweben. Süss und lieblich arrangiert, wie Maccarons in der Vitrine einer Konditorei. Um neue Dessins zu kreieren, griffen die Textildesigner diesmal auf Motive der Renaissance und des Barock zurück. Üppige Ranken und strenge Ornamente zieren die Stoffe. Durch die Umsetzung in modernsten Herstellungstechniken und Veredelungsverfahren, wie Beschichtungen und Lasercut, entstehen erstaunliche Effekte, die das Auge täuschen: Bedruckte Stoffe wirken wie Leder, Muster verändern sich je nach de m Einfall des Lichtes und tanzen über die Oberflächen. „Manchmal muss man einfach hingreifen, um sicher zu sein“, meint Bernhard Duss, der Szenograph dieser Vision. Selbst ihn als gelernten Textildesigner trügt manchmal der Schein.