04.04.2009 - 19.04.2009
Während zwei Wochen im April gibt es ein letztes Mal die Gelegenheit, sich vom Ausstellungsraum des Westfälischen Kunstvereins im Landesmuseum zu verabschieden. Ab Ende des Monats wird das Museum schließlich abgerissen. Bis Ende 2012 wird ein neuer Museumsbau entstehen, in dem auch der Kunstverein einen neuen Ausstellungsraum beziehen wird. Bis dahin wird das Programm nomadisch an unter-schiedlichen Orten in Münster stattfinden. „Kehraus – Abschied von stabilen Wänden“ ist daher als gebührender Abschied vom Ausstellungsraum und gleichzeitig als Ausblick auf die bevorstehende Situation des Kunstvereins zu verstehen. Vor dem Abriss wird der Raum, der über so viele Jahre prägend für das Programm des Westfälischen Kunstvereins war, durch das Veranstaltungsprogramm sowie eine exemplarische Ausstellung in „Miniaturformat“ ein letztes Mal belebt. Die Architektur wird dabei als nahezu leerer Raum noch einmal an sich erlebbar und dient vor allem als Ort sozialer Erlebnisse und der kritischen Auseinandersetzung. Die Ausstellung umfasst Exponate, die an die Auftritte der Künstler- Innen im Rahmen des Programms anknüpfen, zeigt darüber hinaus aber auch Arbeiten, die unabhängig vom Programm im Kontext einer performativen Praxis entstanden sind. So schlüpft die israelisch-amerikanischen Künstlerin Tamy Ben-Tor in ihren Filmen und Performances in immer neue fiktive Rollen. Die dargestellten Figuren sind als Verkörperung stereotyper Kulturzuweisungen zu verstehen und manifestieren ihre Identitäten nicht nur in der äußeren Gestalt, sondern vor allem durch ihre eindringliche und dezidiert charakterisierte Sprache. Auch in dem Video Bahamas Composition der Künstlergruppe ItÂ’s Our Pleasure to Serve You wird eine Performance gezielt für die Kamera inszeniert. Mit slapstick-artiger Leichtigkeit treten die KünstlerInnen (Kerstin Brätsch, Adele Röder, Allison Katz, Georgia Sagri) darin selber in einem ephemeren Szenario auf, das gleichzeitig an Experimentalfilme aus den 1920er Jahren sowie an frühe Filme von Joan Jonas erinnert. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die kanadische Künstlerin Michele Di Menna. Ihr Schwerpunkt liegt in der Performance, in der sie selber auch in unterschiedliche Rollen schlüpft, die jedoch einem breiten Spektrum an abstrakten Verweisen oder popkulturellen sowie modernistischen Referenzen entnommen sind. Anders als bei den anderen Beiden entstehen ihre Selbstinszenierungen nicht für die Kamera, sonder leben nur im Moment der Aufführung. Im Sinne von Ankündigungsplakaten, Skizzen und Studien entstehen im Kontext der Performances Collagen, Kostüme und Objekte, die teils beim Auftritt zum Einsatz kommen. Die Zeichnungen des Künstlers und Autors Hans-Christian Dany stehen hingegen nicht in direktem Bezug zum Buch SPEED - Eine Gesellschaft auf Droge, aus dem er im Rahmen des Programms lesen wird. In seiner kulturgeschichtlichen Darstellung hebt er das pharmazeutische Amphetamin als kulturellen Faktor in einer leistungsorientierten und geschwindigkeitsverliebten Gesellschaft hervor. Die Zeichnungen hingegen lassen sich als Darstellungen einer Reihe von Alteregos des Künstlers lesen, sind aber auch in ihrer Mischung aus abstrakten sowie comichaft-naiven Ausdrucksformen Sinnbild künstlerischer Fantasieuniversen. Lili Reynaud-Dewar führt in ihren Installationen, Skulpturen und Performances völlig heterogene Elemente zusammen, die gleichwohl durch eine geheimnisvolle und magische Logik zueinander in Beziehung stehen, und sich einer allegorischen und mythischen Formensprache bedienen. Durch formale Anleihen bei Theater, Design, Revue und Popmusik wirft die Künstlerin die Frage nach Identität und ihrem Korrelat, dem Stereotyp, auf. In der Ausstellung ist eine Auswahl von Plakaten zu sehen, die im Rahmen ihrer Arbeit In Every Room Here is the Ghost of Sex entstanden sind. Es sind darauf Texte abgedruckt, die sie Schriften des Designers Ettore Sottsass entnommen hat. Die Texte entstanden im Rahmen der bekannten Reihe „mobili grigri“ (graue Möbel), deren Eleganz und Plastizität rein von einer vielfältigen Grautonabstufung leben. Die in Münster lebende Künstlerin Ellen Hutzenlaub arbeitet hingegen ganz konkret mit dem Ausstellungsraum des Westfälischen Kunstvereins. Sie nimmt mit ihrer großformatigen Wandarbeit einen ‚archäologischenÂ’ Eingriff vor, indem sie dünne Schichten der Wand abträgt und somit gespeichertes Material und abgelagerte Zeit vorheriger Ausstellungen freilegt. Es entsteht ein neues Bild aus Schichten der Geschichte. Die Arbeit wird im Laufe der zwei Wochen des Veranstaltungs- und Ausstellungsprogramms langsam entstehen und erst zum Ende des Programms fertig gestellt. So widmen sich die unterschiedlichen Arbeiten dem besonderen Aspekt der Abrisssituation und geben gleichzeitig einen Ausblick auf die Thematik der „Flüchtigen Zeiten“, die das folgende Jahresprogramm des Kunstvereins bestimmen wird. Einerseits kommt dabei sowohl eine persönliche Aneignung von Architektur zum tragen, als auch das Aufdecken der Geschichte, die sich in den Ort eingeschrieben hat. Andererseits taucht in einigen Arbeiten explizit ein Gefühl von Leichtigkeit, Durchlässigkeit, oder der Hingabe an eine Haltlosigkeit sowie die Verweigerung einer Festlegung auf. Der Fokus des Projektes liegt auf den Veranstaltungen, die häufig nur für wenige Stunden oder Minuten erlebbar sind, dem Besucher jedoch umfangreiche Anknüpfungspunkte für eine Auseinandersetzung mit der besonderen Situation geben werden.