Im Fokus von Clewes Ausstellung steht der historische Diskurs um die “flüssigen und scheinbar lebenden Kristalle”, der sich erst nach beträchtlichen Umwegen in Form von Liquid Crystal Displays (LCD) materialisieren und damit die Bildtechnologie grundlegend revolutionieren sollte. Ausgangspunkt von Clewes Projekt ist eine wissenschaftliche Ausstellung des Physikers Otto Lehmann, auf den die Forschung zu den Flüssigkristallen zurückgeht. Sie fand 1906 im königlichen Gewerbemuseum der Stadt Stuttgart, dem heutigen Haus der Wirtschaft, statt. Nematic Twist rückt jene Bilder, Techniken, Anordnungs- und Darstellungsweisen in den Fokus, mit denen die flüssigen Kristalle als wissenschaftlich-philosophische Modelle etabliert und anhand derer die vorherrschenden Vorstellungen vom Leben und dessen Beziehung zur Technologie in Frage gestellt wurden.
Innerhalb der installativen Anordnung, die aus einer Zusammenarbeit mit Forschern der Liquid Crystal and Soft Matter Research Group der Universität Stuttgart und dem Archiv des Karlsruher Instituts für Technologie hervorgeht, greift Clewe einzelne Fäden des historischen Dispositivs auf und unterzieht es – unter dem Vorzeichen digitaler Bildpraktiken und Technologien – einer teilweisen Rekonstruktion. Durch Verschiebungen und Neujustierungen der Problematiken zwischen Wissenschaft, Bildtechnologie und Kunst dient Nematic Twist weniger einer akkuraten Darstellung der historischen Situation, sondern untersucht die Räume, Methoden, visuellen Codes und Konventionen, in denen sich wissenschaftliche und künstlerische Tätigkeit begegnen. Dabei werden die Spannungsverhältnisse problematisiert, die zwischen den Formen, Bildern und Praktiken des Forschens und der Recherche und jenen künstlerischen Anordnungen herrschen, die sich am Ende als “Werke” in der Ausstellung behaupten müssen.
Florian Clewe (*1986) ist bildender Künstler und lebt und arbeitet in Berlin und Brüssel.