© andreas130 / www.fotolia.de
KULTURpur - Wissen, wo was läuft!

Württembergischer Kunstverein Stuttgart im Kunstgebäude


Schloßplatz 2
70173 Stuttgart
Tel.: 0711 223370
Homepage

Öffnungszeiten:

Di-So 11.00-18.00 Uhr
Mi 11.00-20.00 Uhr

Ines Doujak: Not Dressed For Conquering

15.10.2016 - 15.01.2017

Die Ausstellung basiert auf dem langjährigen Kunst- und Forschungsprojekt Webschiffe / Kriegspfade der österreichischen Künstlerin Ines Doujak (*1959, u.a. Documenta 12, São Paulo Biennale 2014), das in unterschiedlichen Formen und Formaten den Verschränkungen zwischen Textilien, Mode, Kolonialismus, Gewalt und globalisierten Produktionsverhältnissen nachgeht.
Webschiffe / Kriegspfade umfasst ein „exzentrisches Archiv“ zur Geschichte der Textilproduktion von den frühen Inkakulturen bis heute, eine aus Collagen und Essays bestehende Posterserie, eine Reihe von Skulpturen, Performances, Texten und Videoarbeiten sowie eine Modelinie.
Die Stuttgarter Ausstellung greift all diese Elemente in Form einer Gesamtinstallation auf, die die Modelinie ins Zentrum rückt. Sie wird in neun „Kapiteln“ bzw. „Pop-Up-Stores“ (Haute Couture / HC 01–09) präsentiert, die um unterschiedliche Themen kreisen und für die zahlreiche künstlerische Neuproduktionen entstehen. Zu finden sind hier neben Stoffen, Schnittmustern, Kleidungsstücken, Hüten, Taschen, Schmuck und anderen Modeartikeln, die von bzw. nach Vorgaben der Künstlerin entworfen wurden, auch Skulpturen – darunter „Plünderer“ und „Randalierer“ –, Videos, Collagen und Objekte.
Das aus Stores, Auslagen, Stofflagern, Werkstätten, Verpackungsmaterialien, Booklets, Handouts, Postern, Verkaufspersonal u.v.m. bestehende Setting lässt die Grenzen zwischen Kunstwerk und Display, Inszenierung und Kontextuierung, Ausstellungsbetrieb und Performance offen. So bilden die Ausstellungsdisplays als Ganzes auch den Rahmen für das Veranstaltungsprogramm mit Workshops, „Modeschauen“ und dergleichen ab; Informationen, Text- und Zitatsammlungen zu den verschiedenen Kapiteln der Ausstellung sind zugleich Teil der künstlerischen Displays.
Doujak geht es nicht um eine perfekte Nachahmung der Modewelt, sondern um das „Einschmutzen“ (Doujak) ihrer schönen Oberflächen. Die ästhetischen Sprachen von Glamour und Mode auf- und angreifend, lenkt sie den Blick auf die gewaltsamen Seiten der Textilindustrie: Von den kolonialistischen Rohstoffplünderungen im 15. Jahrhundert über die Ausbeutung der Näherinnen im 19. Jahrhundert bis zu den heutigen katastrophalen und tödlichen Arbeitsverhältnissen der Textilbranche in Bangladesch, Pakistan und anderen Billiglohnländern. Die geschlechts- und klassenspezifischen Aspekte von Textilproduktion und Mode werden dabei ebenso befragt wie die Verleugnung andiner Traditionen der Textilgestaltung.
All diese Kontexte werden den Stoffen – also dem der Mode ureigenen Medium – und anderen Elementen der Ausstellung auf ästhetisch vielschichtige Weise eingeschrieben. Dabei stehen nicht nur Unterdrückung und Ausbeutung, sondern auch Kampf, widerständige Praktiken oder Akte der öffentlichen Anklage – manchmal mit tragischen Folgen – im Vordergrund.
So steht das Feuer in HC 01 Fires nicht nur für das durch überlastete Stromkreise verursachte Abbrennen von Textilfabriken, sondern auch für ArbeiterInnen, die Fabriken aus Protest anzündeten oder sich – wie im Falle des südkoreanischen Textilarbeiters Chun Tae-il 1970 – selbst verbrannten. Das Motiv des Plünderers verweist wiederum auf die anarchistische Überschreitung der gesellschaftlichen Aufteilung in Wohlhabende und Habenichtse innerhalb der kapitalistischen Konsumgesellschaft.
In den verschiedenen „Stores“ führt Doujak Figuren wie den „Teufel, der eine Abendschule eröffnet, um das Geheimnis von Erfolg und Misserfolg zu lehren“ (HC 06 The Devil) ein, geht Motiven wie Karneval und Maskerade (HC 03 Carnival) oder Gegenständen wie der Haut (HC 07 Aqua Viva) nach. Sie stellt Fragen zu den globalen Transportwegen und Lastenträgern (HC 04 Transport) oder untersucht die historischen wie gegenwärtigen Strukturen der „Vertierung“ des Arbeiters (HC 05 Apes, Kriminalaffe) wie sie sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts beispielsweise in Frederick Winslow Taylors theoretischer Verortung des Arbeiters als „intelligenten Gorilla“ äußert.
Der Titel der Ausstellung bezieht sich auf eine Antwort, die „Vagabunden“ im Lima des 19. Jahrhunderts den Kolonisatoren gaben: Auf offener Straße zur Rede gestellt, warum sie denn nicht arbeiten statt betteln würden, entgegneten diese: „Zum Erobern fehlen uns die passenden Kleider.“
Ines Doujak, Not Dressed for Conquering
Text der Künstlerin
Begeben wir uns nun in die versiegelte und geschichtsblinde Welt der Mode, um deren schöne Oberfläche einzuschmutzen: mit Bildern und Texten, die vom Kolonialismus erzählen, von den Geschlechterordnungen und vom Klassenkampf. Das alles auf Stoff gedruckt, selbstverständlich — dem der Mode ureigensten Medium. Gerahmt wird die Präsentation durch Performances, ohne welche das Fashion Business nicht auskommt. Unsere Kollektion spielt mit high und low, sie knüpft sich aber auch die hartnäckige Zuschreibung des Textilen als „weiblich“ und „Kunsthandwerk“ vor. Die Inspiration für den Titel der Arbeit verdankt sich der Ablehnungshaltung einiger Müßiggänger im Lima des 19. Jahrhundert. Zur Rede gestellt auf offener Straße, warum sie denn nicht arbeiten würden, entgegneten sie frech: „Zum Welterobern fehlen uns die passenden Klamotten.“
Die Mode hat ihren Ursprung in der Haute Couture. Der Begriff meint buchstäblich „Schneiderei“, also das Zuschneiden und Vernähen von Stoffen. Die Haute Couture bildet den Gegenpol zu nicht-westlicher Kleidung, bei der Stoffe eben nicht zugeschnitten und daher gern als „ethnisch“ oder „primitiv“ abgetan werden.
Die Haute Couture erfüllt noch immer, und äußerst effizient, die Funktion, gesellschaftliche Unterschiede zum Ausdruck zu bringen. Die Mode selbst wiederum ist ein globales Geschäft. Es lebt von der Konfektionsware und den Accessoires, die gleichfalls im Dienst der Markierung sozialer Unterschiede und der Fixierung von Geschlechterrollen stehen. An der globalen Kapitalakkumulation hat dieses Business einen gehörigen Anteil; stets von neuem ist es auf der Pirsch nach noch billigeren Produktionsstandorten. Damals wie heute lässt sich das Schneidern nicht automatisieren.
Unsere Kollektion kennt unterschiedliche thematische Schwerpunkte und Präsentationsformen. Es sind Stoffentwürfe, die sich wie Objekte ausstellen lassen, die mit ihren aufgedruckten Schnittmustern aber auch zu Hemden verarbeitet werden können. Accessoires werden konfektioniert und am geeigneten Ort, sprich: in eigens errichteten Boutiquen verkauft. Die Motive werden auch auf andere Medien übertragen und dadurch verstärkt: auf Postern oder Flugblättern, in Performances, Skulptur, Musik oder Film. Diese Medien können ihrerseits ins Zentrum der Kollektion rücken. In manchen Kulturen erscheinen Körperbewegung, Film und Gesang als direkte Übersetzungen textiler Muster, bei denen sich die Farben bekriegen oder wenigstens im Streit miteinander liegen. Vom musikalischen Offbeat getragen, rütteln diese Muster an ihrer Einfassung oder Säumung, die sie als Ausdruck einer Ordnung deuten, die es zu sprengen gilt.
Die verschiedenen Kollektionen speisen sich aus dem gleichen Geist, der einst jene Müßiggänger in Lima dazu motivierte, keine passenden Klamotten für die Welteroberung zu tragen, und der heutzutage Plünderer und KrawallmacherInnen—diesen veritablen Flashmob—beseelt.

KULTURpur empfehlen