15.02.2008 - 18.05.2008
Anläßlich des 200jährigen Jubiläums der Münchner Akademie der Bildenden Künste zeigt das Architekturmuseum der TU München zum Auftakt des Festjahres Arbeiten der dort wirkenden Lehrer für Architektur und Innenarchitektur sowie ihrer Schüler. Beeindruckende graphische Blätter, Entwurfszeichnungen, Fotographien, Modelle oder Gipsabgüsse klassischer Antiken veranschaulichen in den ersten beiden Räumen der Ausstellung die spezifische Form der Architektenausbildung an der Akademie.
Die akademische Architektenausbildung beginnt in Deutschland mit der Einrichtung von Schulen oder Klassen für bürgerliche und höhere Baukunst an den Akademien in Berlin (1696), Dresden (1764), Düsseldorf (1780) und Kassel (1781). München folgt 1808 mit einer Bauschule an der neu gegründeten königlichen Akademie der bildenden Künste, die sowohl der Erziehung eines eigenen Künstlernachwuchses „zur Zierde und Verzierung von Hof und Land“ als auch der „Bildung und Veredelung“ des Volkes dienen soll. An der Münchner Akademie ist die Bauschule mit der Kupferstecher-, Bildhauer- und Malerschule gleichberechtigt in den Kreis der Künste eingebunden.
Die Architekten der Akademie spielen nicht nur eine herausragende Rolle im Baugeschehen in München und Bayern, sondern wirken zum Teil weit über Deutschland hinaus. Zu den berühmten Lehrern im 19. Jahrhundert zählen Carl von Fischer, der Erbauer des Münchner Nationaltheaters, sowie sein Schüler Friedrich von Gärtner, unter dessen Leitung die Bauschule internationale Berühmtheit erlangt und einen Gegenpol zur Berliner Schinkelschule bildete. Die um 1828 ein-setzenden großen Bauaufträge Ludwigs I. für Gärtner machen die Bauschule an der Akademie zu einem Anziehungspunkt für Schüler aus aller Welt. Gärtners „Rundbogenstil“ beherrscht bis in die 1870er Jahre nicht nur die Architektur in Bayern, sondern verbreitet sich über seine zahlreichen Schüler von Schweden bis Ungarn und von Rußland bis in die USA. Nachfolger Gärtners sind August von Voit, der Architekt des Münchner Glaspalasts, sowie Ludwig Lange und Georg Friedrich Ziebland. Im Zuge der wachsenden Bedeutung der technischen Ausbildung wird 1868 eine neue Polytechnische Schule (seit 1877 Technische Hochschule) mit einer Architekturabteilung eröffnet. Dies führt zu einer Verlagerung der Ausbildung und 1873 zur Schließung der Bauschule der Akademie. Der Wechsel der Architektenausbildung von den Akademien an die Polytechnischen Schulen beziehungsweise Technischen Hochschulen bleibt lange umstritten, da ein ungünstiger Einfluss der Technik auf die Baukunst befürchtet wird: „An den Technischen Hochschulen wird man Architekt, ohne Künstler zu werden“ (Hermann Muthesius).
Die verbleibenden Klassen der Malerei, Graphik und Bildhauerei beziehen einen von Gottfried von Neureuther errichteten repräsentativen Neubau beim Siegestor, in dem die Akademie auch heute noch ihren Sitz hat. An der 1946 als Hochschule der Bildenden Künste wiedereröffneten Akademie (1953 zurückbenannt), in der die Münchner Akademien für bildende und angewandte Kunst vereinigt werden, erhalten Architektur und Innenarchitektur eigene Klassen. Die besondere Form der Aus-bildung nach dem Meister-Schüler-Prinzip, ohne reglementierten Unterricht, soll die künstlerische Orientierung fördern. Mit Lehrern wie Sep Ruf, Paolo Nestler oder Otto Steidle erreicht die Architekturausbildung an der Akademie internationale Bedeutung.
In der Ausstellung des Architekturmuseums werden Arbeiten der Lehrer und Schüler sowie Unterricht und Wirkung vorgestellt. Der Gang durch 200 Jahre Architektenausbildung beginnt mit großformatigen, eindrucksvollen Entwurfszeichnungen Carl von Fischers, des ersten Lehrers an der Akademie, und endet in der Installation „Der dritte Raum“, die von Studierenden des Studiengangs Innenarchitektur unter der Leitung ihrer Professoren konzipiert und umgesetzt wurde. Hier werden neue und aktuelle Formen räumlicher Erfahrung und Gestaltung präsentiert.
Der dritte Raum – eine Installation des Studienganges Innenarchitektur
Der „dritte Raum“ der Ausstellung stellt in seiner Konzeption ein Experiment dar. Um den trans-disziplinären Ansatz des Studiengangs im Maßstab 1:1 zu vermitteln wurde anstelle einer Rückschau einzelner Studentenarbeiten für die Pinakothek der Moderne eine Rauminstallation erarbeitet. Das Gemeinschaftswerk der Lehrstühle Raumgestaltung, Produktdesign und Gestaltung im Freiraum greift soziologisch relevante Begriffe wie Selbstdarstellung, Gemeinschaft und Rückzugsraum auf und übersetzt sie in konkrete räumliche Situationen, die vom Besucher unmittelbar erlebt werden können. Gibt es eine Raumgestaltung ohne Form, ohne Stil und abseits des Zeitgeists? Was sind die wirklichen Qualitäten von gutem Design? Wie verhält sich ein Innenraum zum Freiraum? Die In-stallation richtet sich ausdrücklich nicht nur an ein Fachpublikum, sondern will Lust machen auf Gestaltung und die Breite Bevölkerung für Design im weitesten Sinne sensibilisieren. Der Besucher taucht in eine abstrakt/konkrete Licht/Landschaft, kann sich allein oder zu zweit in von der Decke abgehängte kokonartige Vogelnester setzen, unter eine Lichtdusche stellen oder in einem Zelt aus spinnennetzartigem Gewebe spielerisch dem archaischen Grundtypus von Hütte und Herd nachgehen. Ausgangsmaterial für die Installation war der einfache Kabelbinder. In Teams wurden Geflechte, Muster und Verbindungen erforscht und das Ausstellungskonzept entwickelt. Verblüffend ist, welche sinnlichen Qualitäten, Leistungsfähigkeit und Flexibilität dieses einfache Konstruktionsmaterial besitzt. Die 52 Studierenden des Studiengangs haben diese begehbare, 200 qm große Rauminstallation nicht nur entworfen, sondern auch eigenhändig in rund 16 870 Stunden aus 1 292 300 recyclebaren Kabelbindern geknüpft, geflochten und verzurrt.