Wenn gegenwärtig über AIDS berichtet wird, hat man oft den Eindruck, es ginge um ein afrikanisches Problem oder um eine vergessene Krankheit der 1980er Jahre. Dabei leben heute, mehr als drei Jahrzehnte nachdem das Immundefektsyndrom zum ersten Mal beschrieben wurde, nach Schätzungen der WHO weltweit 34 Millionen Menschen mit HIV/AIDS. In Deutschland sind es 78.000, wobei die Zahl der HIV-Neuinfektionen hierzulande seit Jahren konstant ist. Und auch wenn die Diagnose HIV durch die medizinischen Erfolge der Antiretroviral-Therapie seit 1996 kein sofortiges Todesurteil mehr bedeutet, ist eine Heilung der Krankheit bislang nicht in Sicht.
Vor diesem Hintergrund möchte das Deutsche Hygiene-Museum mit der Sonderausstellung AIDS - Nach einer wahren Begebenheit dafür sensibilisieren, dass sich die Notwendigkeit einer individuellen und gesellschaftlichen Beschäftigung mit AIDS keineswegs erledigt hat. Die Ausstellung reflektiert den öffentlichen Diskurs über AIDS in Geschichte und Gegenwart und vermittelt gleichzeitig auch Wissen über die Krankheit, ihren Erreger und die Möglichkeiten, sich selbst zu schützen. In sechs Abteilungen beschäftigt sie sich mit: Unkenntnis, Angst und Scham, Sexualität und Moral, Schuldzuweisung und Diskriminierung, medizinischer und medialer Wirklichkeit, dem Körper sowie der globalen Verbreitung.
Die Ausstellung analysiert die Kommunikation über AIDS exemplarisch an dem weltweit umfangreichsten Sammlungsbestand von 10.000 AIDS-Plakaten aus 147 Ländern, der sich in der Sammlung des Deutschen Hygiene-Museums befindet. Rund 240 ausgewählte Plakate treten in einen Dialog mit anderen Zeitdokumenten, darunter Werbung, Filme, TV-Talkshows und andere Medien der Popkultur. Ergänzt wird dieses multimediale Netzwerk durch künstlerische Arbeiten, die unterschiedliche Aspekte der Bildproduktion und -politik rund um das Phänomen AIDS ästhetisch reflektieren.
Diese panoramaartige Inszenierung nimmt ein gesellschaftliches Thema in den Blick, das von Beginn an von fest sitzenden Vorurteilen und vermeintlichen Gewissheiten begleitet wurde. Medial erschien die Krankheit zunächst als ein Problem der „Anderen" - der Drogensüchtigen, Prostituierten und Homosexuellen. Das änderte sich erst ab Mitte der 1980er Jahre als über Prominente berichtet wurde, die sich mit HIV infiziert hatten und Anti-AIDS-Kampagnen sich mit Fragen von Prävention und Fürsorge zu beschäftigen begannen. In der Folge nahm die Kommunikation über AIDS eine ähnlich epidemieartige Form an wie die Ausbreitung des Virus selbst.
AIDS war und ist ein globales Medienereignis, das die Einstellung vieler Menschen und Gesellschaften zu Sexualität, Moral und Tod nachhaltig verändert hat. Und AIDS ist nach wie vor eine ansteckende und vorerst unheilbare Krankheit, die untherapiert tödlich verläuft. Weil man sich aber verlässlich vor einer Infektion mit HIV schützen kann, bleibt die Information über Präventionsmöglichkeiten eine große Aufgabe für die Zukunft. Auch deshalb endet die Ausstellung mit einem Kino-Raum, in dem Aufklärungsfilme zu sehen sind.
Kurator der Ausstellung ist der kroatische Kunsthistoriker Vladimir Čjakovac. Er hat die AIDS-Plakate aus der Sammlung des Deutschen Hygiene-Museums in den Jahren 2013 und 2014 im Rahmen Forschungsprojekts „AIDS als globales Medienereignis. Plakate und ihre Bildsprache im interkulturellen Vergleich" untersucht, das ebenfalls von der Kulturstiftung des Bundes gefördert wurde.